Dortmund.

Im Interview erklärt NRW-Wirtschaftsminister Voigtsberger, warum Industrieprojekte wie das Kohlekraftwerk in Datteln künftig anders kommuniziert werden müssen und was man gegen Staus im Lande tun muss.

Er führt ein Ministerium mit riesiger Bandbreite: Harry K. Voigtsberger ist Chef des Ressorts Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. 700 Mitarbeiter im Haus, 8000 inklusive der nach geschalteten Behörden. Die Westfälische Rundschau sprach mit Voigtsberger über Industriepläne, Kernkraft in Datteln, „Stuttgart 21“ und Stauprobleme
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Die Kraftwerksbaustelle in Datteln wird bereits zum zweiten Mal winterfest gemacht. Begleitet dieses Streitthema Sie und Ihren Koalitionspartner noch länger?

Harry K. Voigtsberger: Warten wir erst einmal auf den neuen Regionalplan. Momentan wird ja in einigen Teilbereichen des Kraftwerks noch gebaut, das wird ja vor Gericht beklagt.

Wie eine vorweggenommene Schlichtung

Was heißt diese Wackelpartie für das Industrieland NRW?


Voigtsberger: NRW ist das Energieland, Industrieland, Transitland in Deutschland: Hier noch Entscheidungen zu treffen, wird zunehmend schwierig. Wir wollen dabei einen neuen Weg gehen, den auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft vorgibt.


Wie sieht der aus?

Voigtsberger: Bisher gibt es über Großprojekte Diskussionen auf Ebene der Industrie und der Gewerkschaften. Das wollen wir erweitern. Wir wollen stärker die Umweltverbände und etwa die Kirchen beteiligen. Mit den Betroffenen wollen wir festlegen, wohin wir wollen in Nordrhein-Westfalen. Wie in einer vorweggenommenen Schlichtung wollen wir vorher mit den Menschen sprechen.


Verteuert das nicht solche Projekte?

Voigtsberger: Ja, aber es bleibt durchsetzbar. Wir werden den Kreis um Personen erweitern, die solche Projekte einschätzen können. Am Ende eines so informierten Dialogs wird die Vernunft siegen.



Voigtsberger sieht die Ausgaben für „Stuttgart 21“ und vor allem für die Bahnstrecke Wendlingen-Ulm kritisch.
Voigtsberger sieht die Ausgaben für „Stuttgart 21“ und vor allem für die Bahnstrecke Wendlingen-Ulm kritisch. © WR/Franz Luthe



Ist das die Definition der Nachhaltigkeit?

Voigtsberger: Wir müssen den Menschen klar machen, was wir mit nachhaltig meinen. Eine Lösung muss nach unserer Definition erstens wirtschaftlich sinnvoll, zweitens ökologisch durchsetzbar und drittens sozial akzeptabel sein.

Stuttgart 21: Verzicht, wenn es zu teuer wird


Halten Sie es für akzeptabel, dass für „Stuttgart 21“ Milliarden ausgegeben werden, während in NRW Bahn-Projekte auf der Kippe stehen?



Voigtsberger: Teurer als der Bahnhof wird die Strecke Wendlingen-Ulm. Das wird sich maßlos verteuern – und das bei einer Strecke, die Güterzüge nicht einmal nutzen können. Wenn das alles so teuer wird, dass wir verzichten müssen, dann bin ich dagegen.


Mit welchen Argumenten?

Voigtsberger: Ich habe Bundesverkehrsminister Ramsauer klar ge­macht, dass ein Drittel der deutschen Wertschöpfung aus NRW kommt und hier rund ein Viertel der Bevölkerung lebt. Bayern ist kein solches Transitland wie wir.


Warum gehen dann viele Mittel nach Süddeutschland?

Voigtsberger: Das ist politisch bestimmt. Kurz vor der Landtagswahl wurde in NRW der große Bahngipfel abgehalten. Bahnchef Grube hat zugesagt, alles einzuhalten, was da vereinbart wurde. Aber die Bahn braucht den Bund als Geldgeber.


Können sich denn die Länder durchsetzen?

Voigtsberger: Dazu treffen wir uns am 14. Januar zu einer Sonderkonferenz der Verkehrsminister. Beim Projekt der Betuwe-Linie von Rotterdam über das Ruhrgebiet nach Süddeutschland muss nicht nur die Strecke ausgebaut werden, sondern auch der Lärmschutz. Sonst haben wir hier ein kleines Stuttgart 21.


Das ist der Verkehr auf der Schiene, was tut sich im Stauland NRW auf der Straße?

Voigtsberger: Na, da geben Sie mir mal noch 100 Tage. Im Ernst: Ich habe mich nach wissenschaftlichen Gutachten erkundigt und musste erstaunt feststellen, dass es keine gab. Mir wurde gesagt: „Stau ist Stau“ und „Da muss man bauen – oder gerade nicht, weil Baustellen ja Staus erzeugen.“ Mein Fazit ist, dass wir erst einmal ein Mobilitätsgutachten brauchen. Wir suchen derzeit eine Hochschule, die das erstellt. Erste Ergebnisse stellen wir auf einem Mobilitäts-Kongress im September 2011 vor.


Gibt es auch Lösungen, die sofort wirken?

Voigtsberger: Da geschieht schon mehr als viele denken. 30 Prozent der Autobahnbaustellen in NRW sind Nachtbaustellen, da sind wir Spitzenreiter. Auf Platz zwei folgt Bayern mit gerade einmal vier Prozent. Wir müssen auch mit den Städten sprechen. Ich erlebe das ja selbst jeden Tag, dass Städte die Autobahn als Aufstellfläche nutzen und die Autos nur päckchenweise in die Stadt lassen.


Brauchen wir also mehr Autobahnen?

Voigtsberger: Wir brauchen vor allem mehr Verkehrslenkung. Dazu siedeln wir 2011 die Verkehrsleitzentrale beim Landesbetrieb Straßen an. Außerdem ist schon heute eine Steuerung über GPS und Google Map machbar und realistischer durchsetzbar als eine weitere Verkehrsachse quer durch NRW zu bauen.