Stuttgart. .
Bei den Schlichtungsgesprächen zum Bahnprojekt Stuttgart 21 kommen nicht alle Fakten auf den Tisch. Das beklagten die S21-Gegner in der fünften Verhandlungsrunde. Danach stritten die Parteien unter anderem um die Zukunft des Juchtenkäfers.
In der fünften Runde der „Stuttgart 21“-Schlichtung ist wieder über die Offenlegung von Verkehrsunterlagen gestritten worden. Die Gegner des Bahnprojekts warfen der Bahn vor, die Gesprächsgrundlage der Schlichtung „Alle Fakten auf den Tisch“ werde permanent verletzt, da nicht alle Unterlagen zur Verfügung gestellt würden. Bahn und Landesregierung hielten dem entgegen, über den Umgang mit sensiblen Akten gebe es die Absprache, dass diese in einem abgesicherten Raum in Frankfurt eingesehen werden könnten. Im Anschluss wurde über die ökologischen Auswirkungen und über die Bauplanung auf den freiwerdenden Flächen debattiert.
Im Mittelpunkt der Diskussion stand ein am Mittwoch bekannt gewordenes Schreiben des Eisenbahnbundesamtes (EBA) an die Deutsche Bahn. Daraus ging hervor, dass das Amt die Zustimmung für den Bau der zum Bahnprojekt „Stuttgart 21“ gehörenden Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm vorerst verweigert hat. Nach der in der aktuellen Kalkulation ermittelten Kostensteigerung müsse die Finanzierungsvereinbarung nachjustiert werden.
Der Architekt und Gegnervertreter Peter Conradi sagte, es sei eine „Düpierung diese Gremiums“, aus der Presse und nicht in der Verhandlungsrunde über die ungeklärten Kosten für die Neubaustrecke zu erfahren. Das Eisenbahnbundesamt müsse dem Gremium Auskunft geben.
Kefer: Kein Streit zwischen Bahn und Bund
Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer erwiderte, der Brief des EBA sei nicht im Gesamtzusammenhang dargestellt worden. Es gehe darin „um einen Ablauf, der formaljuristisch notwendig“ sei und nicht um die Frage, ob das Projekt finanziert sei oder nicht. Es würden lediglich umfassende Nachweise darüber eingefordert, auf welcher Basis kalkuliert werde.
Kefer widersprach der Darstellung, wonach das EBA angezweifelt habe, dass die Finanzierung nicht gesichert sei. „Wir haben einen Finanzierungsvertrag, der ausdrücklich vorsieht, wie mit Kostensteigerungen umzugehen ist“, sagte er. Es sei nicht offen, wer zahlt, sagte Kefer, ohne auszuführen, wer die Ende Juli ermittelten Mehrkosten für die Neubaustrecke übernehme. „Es gibt keinen Streit zwischen der Bahn und dem Bund“, versicherte Kefer.
Die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender kritisierte, Unterlagen zur Leistungsfähigkeit des Projekts lägen nicht vor, die aber zur Wirtschaftlichkeitsberechnung gebraucht würden. Auch zum Wassermanagement, zur CO2-Bilanz und zu Altlasten seien Unterlagen nicht herausgegeben worden.Kefer verwies auf die Notwendigkeit, einzelne Informationen aufgrund laufender Ausschreibungen geheim zu halten. Durch die Bekanntgabe von Details könnten Mitbewerber wegen Wettbewerbsverzerrung klagen. In der Frage wurde zunächst keine Einigung erzielt.
Umsiedlung des Juchtenkäfers wird erwogen
Gegner und Befürworter des umstrittenen Bahnprojekts diskutierten daraufhin die Auswirkungen des Projekts auf die Ökologie. Ein Bahnexperte sagte, für Eingriffe in die Lebensräume besonderer Pflanzen und Tiere etwa im Schlossgarten seien Ausgleichsflächen und -maßnahmen vorgesehen. Für den Juchtenkäfer, zu dessen Schutz die Gegner vor den Baumfällungen eine einstweilige Verfügung vor Gericht erwirken wollten, werde etwa eine Umsiedlung oder eine Anpassung des Bauprojektes erwogen.
Die Umweltexperten der Gegner hielten der Bahn vor, das Projekt widerspreche dem Energiekonzept der Bundesregierung, da durch „Stuttgart 21“ weniger Mittel für den notwendigen Ausbau des Schienengüterverkehrs zur Verfügung stünden. Eine Einigung darüber, ob „Stuttgart 21“ oder das Alternativkonzept „K 21“ ökologischer ist, wurde nicht erzielt. Der Umweltexperten der Bahn, Peter Westenberger, sagte, eine abschließende Bewertung könne nicht getroffen werden, da insbesondere in Bezug auf Energie und CO2-Ausstoß bei beiden Projekten „harte Fakten“ fehlten.
„Stuttgart 21“ als Immobilienprojekt
In der Diskussion über die freiwerdenden Bauflächen argumentierte der Architekt Conradi, „Stuttgart 21“ sei von Anfang an mehr ein Immobilienprojekt als ein Verkehrsprojekt gewesen, für die Bahn lukrativ und für die Stadt interessant durch die frei werdenden Flächen. Ein Stadtvertreter hatte zuvor gefordert, wie dicht und wie kleinteilig auf diesen Flächen gebaut werde, sollte gemeinsam mit der Bevölkerung entschieden werden.
Die Schlichtung unter Vorsitz von Heiner Geißler soll am Samstag mit den Themen Geologie, Sicherheit und Bauablauf fortgesetzt werden. Gegen „Stuttgart 21“ wird seit Monaten heftig protestiert. Die Schlichtung war angeregt worden, nachdem bei einem Polizeieinsatz zur Einrichtung einer Baustelle für das Projekt über hundert Menschen verletzt worden waren. (dapd)