Hass zerfrisst die Weisheit und das Gewissen eines Menschen. Eine Geisteshaltung, die in Feindschaft wurzelt, kann eine Nation vergiften, zum brutalen Kampf auf Leben und Tod führen, die Toleranz und Menschlichkeit einer Gesellschaft zerstören und den Weg einer Nation zu Freiheit und Demokratie blockieren.“
Diese Sätze stammen nicht von Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela. Es sind Worte von einer verwandten Seele: Liu Xiaobo. Sie sind Teil seiner Verteidigungsrede von 2008. Aussprechen durfte er sie nicht. Das Urteil: elf Jahre Haft wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“.
Der chinesische Dissident Liu Xiaobo ist nach Carl von Ossietzky (er saß im KZ) der zweite Inhaftierte, der den Friedensnobelpreis erhält. Die Ehrung kommt zur richtigen Zeit und trifft den Richtigen. Anders als US-Präsident Obama, der 2009 die Auszeichnung als Vorschusslorbeer bekam, ist der 54-Jährige ein Mann, der sich den Preis für seinen Mut und seine beharrliche Gewaltlosigkeit im Kampf für Recht und Freiheit in China wirklich verdient hat. Umerziehungslager, Haft, Hausarreste – seit seiner Teilnahme an den Studentenprotesten 1989, die in der Juni-Nacht von der Regierung blutig beendet wurden, steht Liu Xiaobo auf der Liste der Staatsfeinde. Die Regierung hat ihn gefangen, aber nicht gebrochen. „Ich habe keine Feinde, ich empfinde keinen Hass“, sagt er.
Der Preis von Oslo gibt dem Inhaftierten, den Chinas Führung mundtot machen will, eine vernehmbare Stimme. „Es ist unsere Verantwortung zu sprechen, wenn andere das nicht können“, begründet der Präsident des Nobelkomitees die Entscheidung. Mutig. Recht so. Und so herrlich unbequem.
China setzt alles daran, dass leidige Thema Menschenrechte bei Gesprächen unter den roten Teppich zu kehren. Und das ist in den vergangenen Jahren auch gelungen. Wer ein gutes Geschäft machen will oder Geld erhofft, der tritt seinem Gesprächspartner doch nicht zur Begrüßung gegen das Schienbein – so richtig es auch wäre. Chinas Geldkofferdiplomatie stößt aber in Staaten, in denen Freiheits- und Menschenrechte gelebt werden, an ihre Grenzen. Druck und Drohungen im Vorfeld, das Verhältnis zu Norwegen werde sich verschlechtern, sollte Liu Xiaobo den Friedensnobelpreis bekommen, halfen nicht. Doch ob es bei so viel Standhaftigkeit bei wachsender Abhängigkeit von China bleibt, ist keineswegs garantiert.
Und Liu Xiaobo? Der friedliche kleine Mann, vor dem sich die Weltmacht so fürchtet, verdient die weltweite Aufmerksamkeit – und ihre Solidarität: „Free Liu!“