Berlin/Essen. .

SPD und Grüne wollen, dass der Islam rechtlich mit den christlichen Kirchen gleichgestellt wird. Experten sehen das skeptisch. Das Problem: Es gibt nicht DEN Islam, und es gibt keine Kirche der Muslime.

Im Prinzip hört es sich nachvollziehbar an. In Deutschland leben vier Millionen Menschen muslimischen Glaubens, die das grundgesetzlich verbriefte Recht haben, ihre Religion zu praktizieren. Warum also nicht den Islam als Religionsgemeinschaft anerkennen, wie es SPD und Grüne vorschlagen, und ihn den christlichen Kirchen gleichstellen? „Es wird höchste Zeit, dass der Islam wie andere Religionen behandelt wird“, fordert Nurhan Soykan. Soykan ist Generalsekretärin des Zentralrats der Muslime, und der Zentralrat tritt für diese Gleichstellung schon seit jeher ein. Allerdings vertritt der Zentralrat schätzungsweise höchstens 30 000 der bundesweit etwa vier Millionen Muslime, und damit fangen die Probleme an. Einen Ansprechpartner, der die Mehrheit der Gläubigen vertritt - so wie es die katholische oder die evangelische Kirche tun - gibt es für die Muslims in Deutschland noch immer nicht.

„Wichtiger Fortschritt
in Sachen Integration“

Von einer Anerkennung des Islams als Religionsgemeinschaft erhofft sich Soykan einiges. Staatlichen Religionsunterricht, islamische Lehrstühle, staatliche Ausbildung von Religionslehrern und Imamem, Sitze in den Rundfunkräten - zudem würde eine muslimische Organisation, wenn sie wie die Kirchen zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts würde, erheblich aufgewertet. Selbst der Anspruch auf eine Art „Kirchensteuer“ wäre vorstellbar, auch „wenn wir aktuell darüber nicht nicht diskutiert haben“, so Soykan.

Doch auch der Koordinationsrat der Muslime, dem Soykans Zentralrat neben drei weiteren Dachverbänden angehört, ist alles andere als ein Sprachrohr für alle Muslime oder gar eine kirchenähnliche Organisation, der die Mehrheit der Gläubigen angehört. Zwar vertritt dieser Koordinationsrat nach eigenen Angaben 85 Prozent der Moscheegemeinden - tatsächlich sind in ihm insgesamt nur 280 000 Muslime organisiert. Die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslims kennt den Koordinationsrat nicht.

Nikolaus Schneider, der amtierende Vorsitzende der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) räumt ein, dass es „im Moment für den Staat nicht leicht auszumachen ist, wer auf Seiten der Muslime in Deutschland eigentlich Ansprechpartner ist“. Gleichwohl hält er es dennoch für wichtig, „dass der Staat die Umwandlung der Dachverbände in Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes, zum Beispiel Körperschaften öffentlichen Rechts, konstruktiv und wohlwollend begleiten sollte“, da dies ein „wichtiger Fortschritt in Sachen Integration“ sei.

Ganz anders denkt der renommierte Bonner Staatsrechtler Josef Isensee, der in den vergangenen Jahren etliche kritische Betrachtungen des Islams in Deutschland publiziert hat. Er hält das Fehlen einer nennenswerten „mitgliedschaftschaftlichen Organisation“, die dem Islam „von Haus aus fremd“ sei, für das wesentliche Argument gegen die von SPD und Grünen angestrebte Anerkennung des Islams als Religionsgemeinschaft. „Die Voraussetzungen dafür sind einfach nicht gegeben.“ Zudem fragt Isensee, wieviel Gleichstellung angestrebt ist: Christliche Feiertage durch islamische zu ersetzen oder das Prinzip der Ein-Ehe infrage zu stellen, sei schlicht nicht möglich.

„Islam soll um jeden Preis
hoffähig gemacht werden“

Zudem warnt Isensee die Politik davor die religiöse Neutralität des Staates in Misskredit zu bringen. „Die Politik versucht derzeit auf Biegen und Brechen, dem Islam Elemente unseres Verfassungsstaates zuzuweisen, um eine Art Teuto-Islam zu erzeugen. Das darf und kann der Staat nicht.“ Eben dieses Bemühen, den Islam „um jeden Preis hoffähig“ zu machen zeuge davon, wie sehr sich Politik in einer „Kunstwelt“ bewege und wie weit die Bildung einer „neuen Paralellgesellschaft der politischen Klasse“ gediehen sei, so Isensee.