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Der Hells-Angels-Aussteiger Thomas P. hat ein Buch geschrieben. Darin erklärt er, warum er seine „Brüder“ verraten hat. Und räumt auf mit dem Harte-Kerle-Image. Für viele Rocker sei ihre Kluft nur „Schwanz-Verlängerung“.

Niemand kennt seine Telefonnummer oder Adresse. Seine Familie weiß nicht einmal, in welchem Land er gerade lebt. Thomas P. ist untergetaucht. Denn er hat seine ehemaligen „Brüder“ bei der Polizei verraten. Und Verrat gilt unter Höllenengeln als Todsünde. Thomas P. muss um sein Leben fürchten. Die Hells Angels haben ein Kopfgeld von 500.000 Euro auf ihn ausgesetzt.

Jetzt hat Thomas P. die Geschichte seiner Rocker-Karriere aufgeschrieben. „Der Rache Engel“ lautet der etwas reißerische Titel des Buches, das teils in schonungslos-derbem Tonfall daherkommt. DerWesten hat mit dem Aussteiger über den harten Aufstieg in einer Gang, die Entzauberung des Rocker-Mythos und seinen Verrat gesprochen.

Warum waren Sie ein Hells Angel? Was hat für Sie den Reiz ausgemacht?

Thomas P.: Ich wollte Freunde finden. Leute, die mir charakterlich ähnlich waren. Die Hells Angels sind ein Einprozenter-Club. Ein Prozent, das bedeutet mehr oder weniger gewaltbereit, aber auch gerade und aufrichtig. Und ich war schon in der Schule ein Einprozenter. Ich habe auch immer nach einer Ersatzfamilie gesucht, weil ich auf meine richtige Familie nicht bauen konnte. Und schließlich wollte ich zum größten Motorradclub der Welt gehören. Die Hells Angels haben einen elitären Ruf. Da wird nicht jeder Idiot genommen. Das dachte ich damals zumindest.

Sie haben sich zunächst hocharbeiten müssen. Sie waren der Chauffeur für die Ranghöheren, haben Putz- und Thekendienste geschoben, mussten Tag und Nacht erreichbar sein. Warum haben Sie das alles über sich ergehen lassen?

Thomas P.: Wenn ich etwas angefangen habe, dann bringe ich das auch zu Ende. Das war bei mir schon immer so. Doch ich war damals total enttäuscht von der Truppe. Die haben mich jahrelang knechten lassen. Und dann war ich plötzlich deren Bruder und alle hatten mich lieb. Das mag bei anderen funktionieren, bei mir aber nicht.

Was bedeutet es, ein Hells Angel zu sein? Welchen Regeln muss man sich unterwerfen?

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Thomas P.: Es gibt eine strikte Hierarchie. Was die Führungsriege sagt, wird gemacht. Die Hells Angels brüsten sich ja immer damit, dass ihre Mitglieder ganz normale Leute seien, Elektriker, Maurer oder Zahnärzte. Und es stimmt auch, dass der Großteil normale Berufe hat. Aber wenn der Präsident sagt, wir lösen jetzt ein Bandidos-Clubhaus auf, dann ziehen alle mit. Wer nicht gehorcht, muss seine Kutte abgeben oder fliegt sogar raus.

In ihrem Buch wird auch deutlich, dass der Mythos der Hells Angels für Sie schnell entzaubert war. An einer Stelle vergleichen sie die Clubabende mit Jahreshauptversammlungen eines Kaninchenzüchtervereins. Sind die Rocker also keine harten Kerle?

Thomas P.: Nach außen hin funktioniert das Harte-Kerle-Image. Warum würden sonst so viele Leute Merchandise-Artikel der Hells Angels kaufen. Viele wissen ja nicht, dass es hinter der Fassade ganz anders aussieht. Da wird meistens nur über ganz banalen Scheiß gesprochen. Wir haben etwa stundenlang diskutiert, zu welcher Dorfparty wir fahren. Es gibt viele Hells Angels, die sich einfach nur profilieren wollen. Für sie ist die Mitgliedschaft in einem Rockerclub das, was für den Banker der Porsche ist, eine Schwanz-Verlängerung. Die ziehen sich ihre Hells-Angels-Kutte an, gehen in die Kneipe und machen einen auf dicke Hose. Viele haben noch nicht einmal einen Motorrad-Führerschein.

Dennoch ist ja bekannt, dass Rockergangs wie die Hells Angels in kriminelle Geschäfte verwickelt sind. Was haben Sie davon mitbekommen?

Thomas P.: Ich kenne keinen Club, der sauber ist. Die Hells Angels versuchen natürlich, das nach außen zu vertuschen. Aber innerhalb der Gruppe werden Straftaten geduldet. Wenn man zum Beispiel osteuropäische Prostituierte vom Flughafen abholt oder als Zuhälter sein Bordell besucht, trägt man natürlich nicht die Rocker-Kluft. Die Hells Angels sind weltweit vernetzt, da ziehen alle an einem Strang. Man kann alles bekommen, was man haben möchte: Waffen, Drogen, Prostituierte. Die Clubs sind nicht unvermögend, und das Geld muss ja irgendwo herkommen. So eine Beerdigung mit 1000 Leuten wird locker aus der Club-Kasse bezahlt.

Es wird auch immer wieder davor gewarnt, dass die Rockerbanden von Rechtsradikalen unterwandert werden? Können Sie das bestätigen?

Thomas P.: In Bremen gibt es Überschneidungen mit der rechten Hooligan-Szene. Die besuchen sich zum Beispiel gegenseitig auf Partys.

Was hat sie letztendlich dazu gebracht auszusteigen?

Diese Waffen fand die Kölner Polizei im vergangenen Jahr bei den Hells Angels. Foto: imago
Diese Waffen fand die Kölner Polizei im vergangenen Jahr bei den Hells Angels. Foto: imago

Thomas P.: Das ging eigentlich ganz leicht. Ich hatte damals private Probleme. Nach einem Streit mit meiner Ex-Frau musste ich ausziehen. Ich habe einige meiner Brüder aus der Nähe angerufen und gefragt, ob sie mich für zwei, drei Tage aufnehmen könnten. Aber niemand hat mir geholfen. Das tat schon weh. Ich hätte mein letztes Hemd für diesen Club gegeben. Ich habe mir das noch vier Wochen angeschaut und bin schließlich ausgetreten.

Was passierte dann?

Thomas P.: Die Hells Angels haben mich und meine neue Freundin mit einem Sprech- und Arbeitsverbot für Bremen belegt. Ich wollte aus Rache zu einem Club der verfeindeten Bandidos überlaufen. Doch die Polizei hat die Gang in der Zeit telefonisch überwacht. Und so haben die von meiner Beteiligung an einem Überfall auf die Bremer Bandidos erfahren. Im April 2008 wurde ich dann verhaftet und vor die Wahl gestellt: ‚Entweder Du wirst verknackt oder Du sagst aus!’ Ich habe mich dann für letzteres entschieden. Danach haben die Hells Angels ein Kopfgeld von 500.000 Euro auf mich ausgesetzt.

Sie mussten untertauchen, wohnen mit ihrer Frau und ihrer Tochter inzwischen unter falschem Namen im Ausland. Was bedeutet das für Sie?

Thomas P.: Wir sind ständig in Gefahr. Gerade die Kleine hat es schwer. Sie weiß genau, wie sie im Ernstfall reagieren muss, wo sie sich verstecken muss und dass sie sich in der Schule nicht verplappern darf. Und sie hat sogar eine eigene schusssichere Weste. Das ist schon traurig, wenn ein zehnjähriges Kind so leben muss.

Glauben Sie, dass die Hells Angels Sie irgendwann in Ruhe lassen werden?

Thomas P.: Ich denke nicht. Für solche Jobs holen die sich einfach Leute aus Osteuropa. Die fahren über die Grenze, schießen oder werfen eine Handgranate durchs Fenster und sind am nächsten Tag wieder verschwunden.

Info zum Buch: Thomas P.: „Der Rache Engel“, riva Verlag, München 2010, 208 Seiten, 19,95 Euro