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Der gebürtige Essener Ingo Sahlmann lebt und arbeitet an einem der gefährlichsten Orte der Welt. Seit knapp drei Jahren ist die irakische Hauptstadt Bagdad sein zweites Zuhause.
Der Urlaub zu Hause in Virginia fiel recht kurz aus und bestand aus mehr Geschäftsterminen als geplant, vor wenigen Tagen ist Ingo Sahlmann zu seinem zweiten Zuhause zurückgekehrt. Doch in diesem Zuhause wartet keine wohlige Gemütlichkeit, Sahlmann kommt zurück zu Zerstörung und Gewalt: Der gebürtige Essener lebt und arbeitet seit knapp drei Jahren in Bagdad.
Ausgerechnet in der irakische Hauptstadt? Da kommen sofort Nachrichtenbilder in den Sinn. Bilder von Dutzenden Toten nach Selbstmordanschlägen. In den Medien existieren keine positiven Meldungen, die von Bagdad aus in die Welt gehen. Dabei sind es nur die großen, Aufsehen erregenden Anschläge, die bekannt werden. „Es passiert täglich etwas. Morgens und abends fliegen Raketen oder Mörsergranaten in die internationale Zone. Mal ganz abgesehen von den unzähligen kleineren Terror- und Gewaltakten überall im Land”, erzählt der 48-Jährige.
Ein kompliziertes Geschäftsfeld mit enormem Potenzial
Sahlmann hat mit seiner amerikanischen Ehefrau Gaynelle genau dort ein Haus gemietet, wo sie mit ihrem Team aus britischen und irakischen Ingenieuren leben und arbeiten. Das Paar hat, wie viele andere Mitarbeiter ausländischer Unternehmen, angesichts der Gefahr durch diesen Dauerbeschuss eine besondere Form von Fatalismus entwickelt. „Man gewöhnt sich dran. Und eigentlich ist es relativ sicher. Rein statistisch betrachtet ist es wahrscheinlicher, in Deutschland oder sonstwo bei einem Autounfall getötet zu werden, als in Bagdad bei einem Anschlag zu Schaden zu kommen”, sagt Sahlmann. Um einen Moment später zu gestehen, dass diese Art der Statistik ein Hilfsmittel ist, um die Nerven angesichts der alltäglichen Gefahr ein wenig zu beruhigen.
Der Betriebswirt nimmt diese Gefahr in Kauf, weil der Irak für ihn zwar ein kompliziertes Geschäftsfeld ist, aber eins mit enormem Potenzial. Mit seinem „GSI Business Services Inc.” ist Sahlmann unter anderem in der Baubranche aktiv. „Wir haben vor kurzem die italienische Botschaft umgebaut, die polnische könnte in Kürze folgen”, beschreibt er ein Geschäftsfeld. Darüber hinaus bietet GSI umfassenden Service für Unternehmen, die ins Land kommen wollen. Für die amerikanische Entwicklungshilfeorganisation „USAID” bewirtschaftet GSI deren gesamten Gebäudekomplex. Von Reinigungsarbeiten über Materialbeschaffung und Wartungsarbeiten an Dieselgeneratoren, die im Irak zu den lebenswichtigen Ausrüstungen gehören. Ganz nebenbei betreibt das deutsch-amerikanische Ehepaar „Dojo’s Diner”. Das Restaurant nahm vor zwei Jahren seinen Anfang mit Doughnuts nach amerikanischem Rezept und ist heute für viele Mitarbeiter von Botschaften und Unternehmen, aber auch für Einheimische der einzig akzeptable und halbwegs sichere Platz für einen Abend, an dem man „raus aus dem Stress” kommt.
Es gibt gar kein Wir-sind-alle-Irakis-Gefühl
Die Lage im Irak erinnert Sahlmann stark an die Zeit unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung - ohne Gewalt. „Es gibt gar kein Wir-sind-alle-Irakis-Gefühl im Land angesichts der unterschiedlichen Volksgruppen. Und die Menschen wollen nun jenen Wohlstand haben, den sie zuvor nur aus dem Fernsehen kannten. Doch sie wollen ihn sofort haben, aber die Regierung kann diese Erwartungshaltung nicht befriedigen. Das erzeugt natürlich Unmut”, schildert Sahlmann die irakische Gemütslage.
Zu der gehört auch ein gespaltenes Verhältnis zu den Amerikanern. Einerseits waren sie nicht gerade geliebt, andererseits fühlen sich die Irakis nach dem Abzug der US-Kampftruppen vor wenigen Wochen im Stich gelassen beim Wiederaufbau. Doch der arabische Stolz verhindert es, einzugestehen, dass man es alleine noch nicht wirklich schafft. Sahlmann selbst ist davon überzeugt, dass der Irak auf lange Sicht gar keine andere Chance habe, als enorm erfolgreich zu sein, „das Land schwimmt auf Öl und Gas”.
Es brauche eben Zeit. Mit zwei Beispielen illustriert er, warum: Die Stromversorgung funktioniere nur an vier bis fünf Stunden pro Tag, den Rest müsse man mit Generatoren überbrücken. Und die Geschäfte würden immer wieder gebremst, wenn wie aus dem Nichts eine neue Verordnung auftauche. Deshalb hat Sahlmann Verständnis, dass bislang nur wenige deutsche Firmen den Weg in den Irak wagen - im Gegensatz zur Türkei, die massiv aktiv sei. Doch das Potenzial für ein ernsthaftes und langfristig ausgerichtetes wirtschaftliches Engagement sei riesig. Sahlmann. „Man hat hier kein Interesse an Unternehmen, die den schnellen Dollar machen und wieder verschwinden.” Zumal: „Made in Germany” genieße höchsten Respekt im Irak.
Oasen der Normalität muss man sich ganz bewusst schaffen
Sahlmann selbst versucht, ein wenig Anschub und Orientierungshilfe zu geben. Gemeinsam mit seiner Ehefrau gründete er das „International Business Council”, um Kontakte zu vermitteln. Es scheint zu funktionieren. „Zu den Sitzungen kommen neben ausländischen und einheimischen Geschäftsleuten Vertreter von bis zu zehn westlichen Botschaften.”
Im Grund lebe und arbeite er an sieben Tagen rund um die Uhr, beschreibt der Essener seine Situation. Oasen der Normalität müsse man sich ganz bewusst schaffen. Wie im vergangenen Jahr: In einer anglikanischen Kirche in der Nähe des Tigris heirateten Sahlmann und Gaynelle Scott. Mit Smoking, weißem Kleid, Brautstrauß, Kirchenchor und einem Teil des Symphonieorchesters von Bagdad. Allerdings: Auf den Dächern wachten Scharfschützen über die Hochzeitsgesellschaft.