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Peer Steinbrück hält es mit seinem Vorbild Helmut Schmidt und will der Partei ein ökonomischer Mahner sein. In seinem Buch „Unterm Strich“ zur Finanzkrise rechnet er auch mit Spitzen-Bankern ab.

Wenn vom „Gewissen” einer Partei die Rede ist, dann hat es die geistige Führung in der Regel längst verlassen. Und es repräsentiert eine Haltung, von der sich die aktuelle Parteispitze verabschiedet. Helmut Schmidt wurde nach seiner Kanzlerschaft und dem Bruch mit der SPD-Basis zum ökonomischen Gewissen der SPD. Mit Peer Steinbrück fühlt sich nun ein weiterer Sozialliberaler berufen, seiner linksrutschenden Partei dann und wann als Freigeist zu erscheinen.

Nach dem Wahldesaster der SPD letzten Herbst zog sich Steinbrück aus der Parteispitze zu­rück. Bei Gabriels Großreinemachen im Agenda-belasteten Willy-Brandt-Haus mochte der Hamburger nicht mittun. Er machte es sich auf den Hinterbänken bequem und lässt Gabriel seitdem via Interviews regelmäßig wissen, welche groben Fehler er mit der Abwicklung der Reformen Schröders und Münteferings begehe. „Grotesk” und „dumm” nennt er die Agenda-Abrechnung, die Kehrtwende bei der Rente mit 67 ein „Hinwegsetzen über die Gesetze der Arithmetik”.

Verfechter der Agenda

Nun betritt Steinbrück wieder die Bühne. Sein Thema: Steinbrück. Wie er mit Kanzlerin Merkel die größte Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg gemanagt und Schlimmeres verhindert hat (siehe unten), beschreibt Steinbrück auf 480 Seiten. Wenige haben ihm bisher diese Leistung abgesprochen, doch Steinbrück möchte sie lieber selbst würdigen. Gleichzeitig nutzt der Hanseat die Gunst der medialen Stunde, sich als Nachfolger Helmut Schmidts zu profilieren.

Verglichen mit Schmidts Gewissenwerdung wäre dies eine Blitzkarriere. Noch vor acht Jahren fragte die Bild-Zeitung „Peer wer?”, als Steinbrück das Amt des NRW-Ministerpräsidenten von Wolfgang Clement überreicht bekam. Mit seinem näselnden Nordakzent und kühler Rhetorik versuchte er gar nicht erst, den Rau zu geben. Stattdessen wurde er der treueste und argumentativ auch beste Fürsprecher der Agenda 2010.

Er ging dahin, wo es wehtut

Das ist er noch heute, während sich Schröder längst über seine Agenda-Getreuen lustig macht, wenn er etwa Müntefering rät, er solle sich nicht zum „Moses der zehn Gebote” stilisieren. Das passt. Denn was Schröder seinerzeit versäumte, versuchte Steinbrück: Zu erklären, warum die Reformen sein müssen. Er ging dahin, wo es wehtut. In Gelsenkirchen etwa brachte er es fertig, eine verärgerte und vor der drohenden Wahlniederlage gegen Rüttgers verunsicherte SPD-Basis zumindest für einen Abend umzudrehen.

Vier Jahre später wird ihm dieses rhetorische Kunststück wieder gelingen – mit der versammelten Wirtschaftselite in der Essener Grugahalle. Er spricht vor Managern, auch Bankern, über die Arroganz allzu freier Märkte, die nach einem Staat rufen, den sie zuvor als lästigen Spielverderber in ihrem Casino am liebsten Hausverbot erteilt hätten. Steinbrück schafft es, sich für die Verstaatlichung von Banken und Begrenzung von Managergehältern feiern zu lassen von jenen, die bis dahin Keynes für einen verwirrten Marxisten gehalten haben.

Das große Vorbild

Dabei hätten wenige Politiker schlechter in die Rolle des Kronzeugen der Auferstehung des nachfrageorientierten Weltökonomen gepasst. Als Finanzminister unter Merkel predigte Steinbrück drei Jahre lang den schlanken Staat, der nicht mehr als nötig ausgibt. Auch lässt er selbst die Volksferne eines Mächtigen durchschimmern, als er den Deutschen rät, weniger Urlaub zu machen. Dazu gehört ein kernig gesundes Selbstbewusstsein, ganz wie bei seinem großen Vorbild.

Nun gibt er also den Schmidt und kokettiert damit, wenn er dem Spiegel erklärt, warum er sich selbst nicht als Kanzlerkandidaten vorstellen kann. Schmidt sei während seiner Regierungszeit „mit dem Mainstream der eigenen Partei in Konflikt” geraten – „Bei mir wäre das möglicherweise schon vor einer Wahl der Fall.” Er sieht sich als Politökonom ohne jeden Machtanspruch. Das ließe sich auch gegen ihn verwenden: Im Gegensatz zu Schmidt und Schröder ist Steinbrück nie in ein führendes Amt gewählt worden. Und niemand hat ihn gezwungen, Steinmeier in der Gabriel-SPD allein zu lassen.

Das Buch

Auch ein Peer Steinbrück macht Fehler. Drei davon räumt der Ex-Finanzminister in seinem Buch zur Finanzkrise „Unterm Strich“ ein, aus dem der Spiegel vorab berichtet. Darin lastet sich Steinbrück an, er habe als NRW-Ministerpräsident keinen Druck ausgeübt, um die Landesbanken „fundamental“ um­zu­struktu­rie­ren. Zu­­dem habe er als Finanzminister nicht registriert, wie stark das Schattenbankenwesen ge­wachsen sei. Und: Er habe die Bankenaufsicht nicht angewiesen, die Geschäftsmodelle von Banken stärker zu prüfen.

In dem Buch rechnet Steinbrück mit Spitzen-Bankern ab. Die drohende Pleite der IKB-Bank im Juli 2007 nennt er seine „erste bittere Erfahrung in der Finanzkrise, was Ratlosigkeit, Risikoignoranz und Desinformation von Bankmanagern angeht“. Zuvor hatte IKB-Chef Stefan Ortsseifen die Risiken für die IKB he­runtergespielt. Weitere Er­fah­rungen mit Bankmanagern ließen Steinbrücks Respekt für diese „Kaste systematisch auf das Niveau sinken, das diese Herren normalerweise der Politik entgegenbringen“.

Als „legendär“ bezeichnet der Ex-Minister den Auftritt mit Kanzlerin Angela Merkel am 5. Oktober 2008, als sie öf­fentlich eine Garantierklärung für die Spareinlagen gaben. „Es war uns beiden bewusst, dass es sich um einen Ritt auf der Rasierklinge handelte.“ Der Zweck des Auftritts sei aber erfüllt worden. „Ein Run auf die Banken blieb aus.“ (daf)