Lingen. .

Regierungschefin Angela Merkel tourt durchs Land. Auf ihrer Energiereise fragt die Kanzlerin viel und sagt wenig zu ihren Plänen.

Angela Merkel hat sich ein Ziel gesetzt. Am 28. September will ihr Kabinett das Energiekonzept verabschieden, das den Kurs der nächsten Jahrzehnte festlegt. Es geht um die Laufzeiten der Kernkraftwerke und eine Brennelementesteuer, um er­neuerbare Energie und wie sie finanziert wird, auch um die Rolle der Kohle und den Klimaschutz. Die Kanzlerin reist durchs Land, besucht Kraftwerke und Vorstandschefs. Sie fragt viel. Und sagt wenig.

„Sie fragt neugierig. Wie eine Wissenschaftlerin“, sagt Jürgen Großmann, der Chef von RWE. „Und sie ist auf die Antwort gespannt.“ Das findet er, der Ingenieur, erfrischend an der promovierten Physikerin. Großmann hat die Regierungschefin am Donnerstag in Lingen begrüßt. Hier stehen Gaskraftwerke des Konzerns – und das Kernkraftwerk Emsland.

5,5 Millionen Euro Steuer auf jeden Brennstab

Emsland soll noch zehn Jahre Strom produzieren. Dafür braucht der Reaktor pro Jahr 44 Brennstäbe. Ein Brennstab soll nach den Plänen, die in Berlin erwogen werden, mit 5,5 Millionen Euro besteuert werden. Macht 242 Millionen. Das Betriebsergebnis liegt bei 300 Millionen Euro. Als Großmann dies vorrechnet, will er sagen: Wir sehen noch reichlich Gesprächsbedarf.

Auch die Kanzlerin hat bei dem Treffen mit den Energiegrößen mit Zahlen argumentiert. Sie hat klargemacht, dass Berlin Geld für die Haushaltssanierung braucht und dass „eine bestimmte Abgabe“ deswegen auf die Energiewirtschaft zukommt – mehr noch: Sie soll auch für den Aufbau der erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne einen Beitrag leisten.

„Nicht verhandelt“

Über das alles ist in Lingen „nicht verhandelt“, sondern allenfalls geredet worden, betonten beide Seiten nach den knapp zwei Stunden, in denen man im Schatten der weißen Reaktorkuppel von Lingen zusammensaß.

Die rot-grüne Regierung Schröder hatte den Kernenergie-Ausstieg gemanagt. Die schwarz-gelben Nach-Nachfolger wollen die Laufzeiten wieder etwas nach hinten schieben. Ob fünf oder zehn Jahre – wie weit ist auch im Kabinett umstritten. Die Energieriesen nutzen die Lage und werben auf einer ganz neuen Linie: Es gebe keinen „idealeren Partner“ der grünen Energien Wind und Sonne als die Kernkraft, betont das RWE im Emsland.

„Ab-schal-ten“, tönt es aus den Reihen der Gegner

Wenig Glauben fand das alles ein paar hundert Meter weiter neben dem Lingener Meiler. Da waren sie wieder wie in den 70er Jahren: die Sprechchöre, die phantasievollen Aktionen, die Pfeifkonzerte. Die Anti-Kernkraft-Bewegung ist wieder da. Mit Traktoren sind sie aus der Nachbarschaft gekommen und mit Bussen aus Dortmund und Bielefeld. „Ab-schal-ten“. Greenpeace hat den Lingenern sogar ein kleines Schauspiel geboten.

Der gewaltige Kühlturm des Kernkraftwerks diente als Licht-Projektionsfläche für eine Mahnung an die Kanzlerin: „Atomkraft ist ein Irrweg, Frau Merkel.“

Die Angesprochene sieht das anders, spricht von einer unverzichtbaren „Brückentechnologie“ und will auch die 160 000 Unterschriften der AKW-Gegner, die die gesammelt haben, nicht annehmen. Jetzt versucht es die Bewegung Mitte September ein zweites Mal, dann in Berlin und mit mehr Leuten. Der September, weiß Merkel seit dieser Reise, wird eine sehr spannende, vor allem energiegeladene Zeit.