Würde Volkes Stimme entscheiden, wäre klar: Kein sicherungsverwahrter Täter käme frei. Schon Ex-Kanzler Schröder hatte für Kinderschänder gefordert: „Wegsperren. Für immer“.
Aber so einfach ist die Sache nicht. Justitia arbeitet mit zwei Waagschalen. Sie wägt Rechtsgüter ab. Das geht weder nach Bauchgefühl noch mit Hauruck.
Vielleicht also steht die Justiz in Deutschland vor einer ihrer größten Herausforderungen. Die Rechtsgüter, die sie zu bewerten hat, haben beide Verfassungsrang.
Da ist das Recht auf Freiheit eines Menschen, der Übles getan, aber seine gerechte Strafe abgesessen hat. Soll man ihm dieses Recht, wenn auch in etwas milderer Form, nehmen, nur weil Gutachter von ihm glauben, er könnte wieder rückfällig werden?
Da ist das Recht auf Leben und körperliche wie seelische Unversehrtheit der möglichen Opfer. Soll man Gesundheit und Leben von Unschuldigen gefährden, nur weil die Haftstrafe eines gefährlichen Menschen ablief und nach Meinung eines Straßburger Gerichtshofs auch in Form der Sicherungsverwahrung nicht verlängert werden darf?
Die Gerichte werden für diese Abwägung Zeit brauchen. Sie sollten Grundsatzentscheidungen treffen, jeden Einzelfall daran messen. Weil der Staat verpflichtet ist, die Sicherheit der Bürger sicherzustellen, müssen die Betroffenen bis zu tragbaren Entscheidungen in Verwahrung bleiben. Freilassen kommt also, vorerst, nicht in Frage.
Statt sich der Aufgabe zu stellen, dies zu regeln, plappert die Justizministerin nur den Urteilstenor aus Straßburg nach. Das ist peinlich. Denn das Menschenrechtsgericht kann nicht vorschreiben, wie Deutschland im Detail mit seinen Urteilen umgeht. Und Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist nicht die Chefin der höchsten deutschen Richter.