Essen. .
Das Familienministerium und das NRW-Arbeitsministerium gehen neue Wege: Sie nehmen nur noch anonyme Bewerbungen an. Ob das Weglassen des Namens, Alters und der Herkunft tatsächlich zu mehr Chancengleichheit führt, bezweifeln Kritiker.
Die Bewerbungen stapeln sich auf dem Tisch der Personalabteilungen. Schnell werden die ersten Mappen aussortiert. Nicht immer landen Bewerbungen im Papierkorb, weil die Kandidaten nicht qualifiziert genug sind. Oft ist auch das Aussehen, der fremd klingende Name, die Herkunft oder das Alter der Grund, warum gute Bewerbungen im Papierkorb landen. Neben Älteren, Behinderten und Frauen, sind in Deutschland noch immer sehr häufig Zuwanderer bei der Stellensuche benachteiligt. Obwohl sich ihr Lebenslauf oft gar nicht von denen der deutschen Bewerber unterscheidet.
Dass bei gleicher Qualifikation der deutsche Bewerber vor dem ausländischen bevorzugt wird, will zwar niemand zugeben, ist jedoch immer häufiger der Fall. Eine Studie des Instituts Zukunft der Arbeit (IZA) zeigt, dass die Chance, zum Gespräch eingeladen zu werden, bei Bewerbern mit nicht-deutschen Namen um 14 Prozent sinkt - bei kleineren Betrieben sogar um 24 Prozent.
Die Folge ist oft, dass junge Migranten ihrer „weiteren Zukunft“ nicht in Deutschland entgegen blicken wollen, sondern nach der Schule oder nach dem Studium in ihr Heimatland zurückkehren. Bei jungen Türken planen laut einer Studie etwa 40 Prozent der Hochschul-Absolventen eine Rückkehr in die Türkei. „Sie begründen ihre Pläne damit, dass eine Anstellung, aber auch Aufstiegschancen für junge Türken in Deutschland mit vielen Hürden verbunden seien. In der Türkei fänden sie bessere Voraussetzungen sowie attraktivere Arbeitsmöglichkeiten vor“, sagt der türkische Generalkonsul in Essen, Hakan Akbulut.
Allein die Fähigkeiten entscheiden
Aber nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund haben es auf dem deutschen Arbeitsmarkt schwer, auch ältere Menschen, Behinderte oder Frauen haben oft schlechte Karten.
Das hat auch die Landesregierung in NRW erkannt und will nun dafür sorgen, dass kein Bewerber mehr benachteiligt wird: Wer sich künftig im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales um einen Job bewirbt, bleibt anonym. Persönliche Angaben wie Name, Alter, Familienstand, Geschlecht oder auch Nationalität werden der Personalabteilung vorenthalten, auch das klassische Bewerbungsfoto bekommt niemand auf den Tisch. Allein die Fähigkeiten sollen darüber entscheiden, ob der Bewerber eine Chance auf die Stelle hat oder eben nicht. Um interessante Kandidaten zu einem Gespräch einladen zu können, werden die vollständigen Bewerbungsmappen bei einer neutralen Stelle gesammelt.
„Wir wollen damit die interkulturelle Öffnung der Verwaltung erreichen“, sagt ein Ministeriumssprecher. Ziel sei auch, langfristig weitere Landesbehörden für dieses Bewerbungsverfahren zu gewinnen. „Zuwanderer haben es in Deutschland schwerer, einen Job zu bekommen“, sagt der Sprecher, „mit den anonymen Bewerbungen fällt die erste Hürde des Aussortierens wegen des Namens oder Herkunft weg.“ Jeder Bewerber habe so die Chance, bei einem Bewerbungsgespräch zu überzeugen.
Zufällig zur selben Zeit startet das Bundesfamilienministerium unter der Leitung von Kristina Schröder ein sehr ähnliches Projekt: Ab Herbst will das Familienministerium nur noch anonyme Bewerbungen sichten. Das Pilotprojekt ist zunächst einmal auf ein Jahr angesetzt. Initiiert wurde der Modellversuch von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Im Februar rief die ADS Unternehmen in Deutschland dazu auf, sich an dem Projekt zu beteiligen und künftig nur noch anonyme Bewerbungen zu bearbeiten. Fünf Firmen machen mit: L’Oréal, Procter & Gamble sowie drei weitere, die noch bekannt gegeben werden.
Mehr Kosten und Verwaltungsaufwand befürchtet
Keinen Änderungsbedarf sieht hingegen Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbandsgruppe Ruhr-Niederrhein in Duisburg. „Damit wird das Bewerbungsverfahren nur unnötig in die Länge gezogen und zu keinem anderen Ergebnis führen.“ Schmitz sieht in dem Projekt nur eine Verschiebung der Diskriminierungs-Problematik auf die nächst höhere Ebene: „Spätestens beim Gespräch sehe ich, wer sich hinter der Bewerbung verbirgt.“ Wenn der Vorgesetzte Vorbehalte gegen Frauen oder ältere Bewerber hätte, könne er hier aussieben.
Ulrich Kanders, Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverbands fürchtet zudem erhöhte Kosten und mehr Verwaltungsaufwand, die gerade mittlere und kleine Unternehmen kaum stemmen könnten. „Ich wage auch zu bezweifeln, dass es dadurch mehr Chancengleichheit gibt.“ Trotzdem ist Kanders gespannt auf das Ergebnis der Pilotprojekte: „Wenn dabei signifikante Änderungen herauskommen, könnte ich mir vorstellen, eine breitere Maßnahme daraus zu machen.“
Wolfgang Schmitz hat auch nicht den Eindruck, dass ein anonymes Bewerbungsverfahren die „Lebenswirklichkeit widerspiegelt“. In naher Zukunft werde der Fachkräftemangel weiter zu nehmen und qualifizierte Arbeitskräfte würden gesucht. „Da wird die Frage, ob ein Mann oder eine Frau, ein älterer oder jüngerer Bewerber bevorzugt wird, absolut in den Hintergrund treten.“