Horst Köhler hat mit seiner historisch einmaligen Flucht aus dem Amt der angesehensten Institution in Deutschland geschadet. Es wäre nun die Angelegenheit der Kanzlerin gewesen, diesen Schaden zu beheben. Diese Chance hat sie verpasst.
Sicher, es ging bei dieser Spitzenpersonalie immer schon parteipolitisch zu. Schließlich leben wir in einer Parteiendemokratie. Zu den darüber hinweg tröstenden Gewissheiten gehört, dass sich bislang noch jeder parteilich ausgekungelte Präsident aus den klebrigen Fängen seiner Erfinder löste und überparteilich handelte, sobald er im Amt war. Wahr ist freilich auch, dass Parteien immer dann überparteiliche Kandidaten in den Sinn kommen, wenn diese chancenlos sind. Und doch war Angela Merkels Entscheidung für ein Weiter So der aktuellen, krisenhaften Lage nicht angemessen. Sie war instinktlos und falsch.
Die durch Köhler verursachte neue Lage hätte ein neues Denken verlangt. Merkel hätte sich mehr um das Amt und dessen Ansehen in der Bevölkerung kümmern müssen als um ihre Union und ihre Koalition mit der FDP, kurz: Sie hätte stärker die Demokratie in den Blick nehmen müssen als sich selbst. Das freilich hätte Souveränität vorausgesetzt.
Joachim Gauck ist ein beeindruckender Mann, ein herrlicher Redner und leidenschaftlicher Freund der Freiheit. Nichts adelt ihn, dessen Vater von Stalins deutschen Brüdern nach Sibirien deportiert wurde und den die Kommunisten ausschließlich Theologie studieren ließen, mehr als das Urteil der DDR-Staatssicherheit über ihn: „Unverbesserlicher Antikommunist“. Wenn sich nun die Linkspartei über Gauck erregt, ist das erfreulich entlarvend. Herzlichen Dank in diesem Zusammenhang an die Herren Gabriel und Trittin. Sie haben uns die Peinlichkeit eines Rot-Rot-Grünen Kandidaten erspart. Nachdem Sozialdemokraten und Grüne erst unlängst in Düsseldorf erleben mussten, dass Linkspartei-Repräsentanten nicht einmal nach intensiver, stundenlanger Diskussion zu einem eindeutigen Urteil über den Unrechtsstaat DDR finden, ist Gauck ein wohltuendes Signal. Als die SED noch nicht Linkspartei hieß, aber schon PDS, sprach Gauck treffend von den „roten Reaktionären“.
Noch am Donnerstagabend, während einer Telefonkonferenz mit ihrem CDU-Bundesvorstand, nannte Merkel den Parteilosen Gauck eine „beeindruckende Persönlichkeit“. Wie, außer durch Zuhilfenahme ausschließlich Partei-opportunistischer Argumente, will sie eigentlich zweifelnde Bundesversammelte überzeugen, Christian Wulff ihre Stimme zu geben und nicht Gauck, jenen Mann, den einst Helmut Kohl in dessen Amt holte?
Parteiliches Handeln ist auf Dauer nur erträglich, wenn Parteipolitiker wenigstens in den besonderen Momenten die Kraft finden, über sich selbst hinaus zu wachsen.