Stuttgart. .

Stuttgart, die geteilte Stadt: Die eine Hälfte der Bürger will Stuttgart 21, die andere versucht den milliardenschweren Umbau des Hauptbahnhofs zu verhindern. Aber die ersten Bauzäune für den Abriss des Kopfbahnhofs sind schon aufgestellt.

Gorleben und Wyhl, Startbahn West und der Rhein-Main-Donau-Kanal. Es waren in der Geschichte der Republik solche Großprojekte, die die Leute zur Demonstration auf die Straße brachten und auf die Bäume, wo sie sich mit Ketten fesselten. Jetzt haben die Massenproteste ein neues Ziel: Stuttgart 21 verhindern.

Schon an 38 Montagen gingen jeweils Tausende zum „Schwabenstreich“ auf die Straße, um den neuen unterirdischen Hauptbahnhof der Südwest-Metropole zu stoppen. „Schwabenstreich“ heißt: Eine Minute so viel Krach machen wie möglich. Promis wie der Schauspieler Walter Sittler („Nikola“) haben an der Spitze mit gekracht. Am letzten Samstag kamen schließlich 12 000. Die Politik in Berlin, in Baden-Württemberg und im Stuttgarter Rathaus gerät unter massivem Druck.

Es ist ja auch ein Mega-Ding, was mitten in der City entstehen soll und dessen Bau mit dem Abriss des alten Kopfbahnhofs in diesen Tagen beginnt. Die Sperrzäune stehen schon. Dahinter geht es dann um das Bohren von 16 Tunnels mit insgesamt 30 Kilometer Länge, um 18 Brücken und eine unterirdische Bahnhofsanlage. Denn die Planer bei der Bahn und in Baden-Württemberg haben mit Stuttgart 21 zwei Projekte zusammengekoppelt: Den Neubau der Schnellstrecke Stuttgart-Ulm und den der zentralen Station der Landeshauptstadt.

Kosten wurden nach oben korrigiert

Ein Gegner von Stuttgart 21.
Ein Gegner von Stuttgart 21. © ddp

Unterm Strich werden Kosten stehen, die gerade wieder einmal nach oben korrigiert wurden und sich jetzt nach konservativer Schätzung auf sieben Milliarden Euro belaufen. Der Vorsitzende im Verkehrsausschuss des Bundestages, der Grüne Winfried Hermann, schließt am Ende sogar die Zahl 12 unter der Milliarden-Rechnung nicht aus.

Dass der Bahnhofs-Bau selbst die Bürgerschaft in zwei Lager teilt, obwohl es bei der Bahn doch um eine vergleichsweise klimafreundliche Technologie geht, die zudem die Fahrzeit nach Ulm und München um 25 Minuten verkürzen könnte, hat viel mit Tradition zu tun. Die alte Station des Architekten Paul Bonatz ist das Wahrzeichen der City. Ein Wahrzeichen, auch wenn zumindest sein Turm stehen bleiben soll, verliert man ungern, selbst wenn die Planer 11 000 neue Wohnungen auf dem oberirdisch freigeräumten Bahnterrain versprechen und viel, viel Grün. Zudem werden für die Baustellenfläche zuvor hunderte alte Bäume gefällt werden müssen. Auch: Großbaustellen bedeuten über Jahre Lärm und Staub.

Andere Regionen könnten unter dem Mammut-Projekt leiden

Ein zweites, wirtschaftliches Argument beherrscht den Widerstand: Viel zu teuer sei das Projekt bei viel zu wenig Nutzen. Das Berliner Institut KCW hat in einem Gutachten für das Umweltbundesamt gewarnt, die Milliarden-Investition werde auf der durch Stuttgart verlaufenden West-Ost-Strecke von Frankreich nach Südosteuropa kaum Zuwächse an Fahrgästen bringen und keinen bei der Fracht. Im Gegenteil: Der Berliner Verkehrsforscher Michael Holzhey glaubt, dass hier ein Engpass entsteht. Denn die Zahl der der heute vorhandenen oberirdischen Gleise, 17 sind es, wird auf gerade acht unter der Erde verringert.

Holzhey verwies gegenüber unserer Zeitung auch darauf, dass andere Regionen der Republik unter dem Mammut-Projekt im Westen leiden könnten. Denn wenn bei knappem Staatsetat die Milliarden nur in den Tunnel am Neckar und die Schnellstrecke nach Ulm fließen, bleibt für Großvorhaben zum Beispiel an Rhein und Ruhr nichts mehr übrig. Für 64 dringende Bahnvorhaben fehlen im Verkehrsetat heute schon mehr als 20 Milliarden Euro. Der Rhein-Ruhr-Express Dortmund-Köln durchs Revier? Er wäre endgültig nicht bezahlbar.

Kommt Stuttgart 21 nun - oder doch nicht? In seiner Massivität hat sich der Widerstand erst spät entwickelt, und CDU wie SPD verteidigen das Vorhaben. Sonst werde Stuttgart vom internationalen Verkehr abgekoppelt, fürchten sie. Auch stehen die ersten Spatenstiche unmittelbar bevor. Andererseits: Baden-Württemberg wählt 2011 einen neuen Landtag. Die Umfragewerte für die CDU fallen. Der neue christdemokratische Ministerpräsident Stefan Mappus lässt durchblicken: „Um jeden Preis“ wolle er den neuen Bahnhof wohl nicht.