Brüssel. .

Ein belgischer Nationalheld steht in Brüssel vor Gericht. Der Ankläger ist ein Kongolese. Sein Ziel: Das Verbot eines Tintin-Bandes mit dem Titel „Tim im Kongo“. Der Vorwurf: Das Abenteuer strotze vor rassistischen Klischees.

Ein belgischer Nationalheld steht am heutigen Montag in Brüssel vor Gericht. Im schlimmsten Fall droht ihm die – zumindest literarische – Todesstrafe. Denn mit „Tintin“ muss sich ein Comic-Held vor der Justiz verantworten, der Vorwurf lautet auf Rassismus. Die Anklage fordert ein Verbot eines der Hefte, in denen der Nachwuchsreporter mit der blonden Tolle und dem weißen Hündchen die wildesten Abenteuer durchlebt. In Deutschland sind die beiden als „Tim und Struppi“ bekannt.

Der Ankläger ist Bienvenu Mbuto Mondondo, ein Kongolese mit Wohnsitz in Belgien. Sein Ziel: Das Verbot eines Tintin-Bandes mit dem Titel „Tim im Kongo“, zuerst veröffentlicht 1931. Und eine fragwürdige Gesinnung darf dem weltberühmten Comic-Belgier durchaus unterstellt werden. Selbst sein Schöpfer Hergé, mit bürgerlichem Namen Georges Rémi, räumte in reiferen Jahren ein, dass Tintins erste Abenteuer vor rassistischen Klischees und kolonialistischen Bemerkungen nur so strotzten. Die umstrittenen Szenen und Episoden wurden in späteren Editionen ausgelassen. In den Originalausgaben aus den 30er Jahren und in Sammler-Alben sind sie allerdings noch zu finden.

Anwalt: Auch Bibel müsste dann verboten werden

Der Ankläger Mbutu Mondondo (r.). Foto: afp
Der Ankläger Mbutu Mondondo (r.). Foto: afp

Den Vorwurf der Effekthascherei weist Mondondos Anwalt Papis Tshimpangila entschieden zurück. In Großbritannien, so argumentiert er, ging „Tim im Kongo“ in den letzten Jahren nur noch mit einer Bauchbinde über die Theke, die den Leser vor abstoßenden Inhalten warnt. In der englischen Ausgabe wird außerdem auf „spießbürgerliche, bevormundende Vorurteile der Entstehungszeit” gewarnt vor einer „Geisteshaltung, die manche Leser widerwärtig finden könnten”. Solch ein Warnhinweis ist das Mindeste, was Kläger und Anwalt auch für die französischen Ausgaben erreichen wollen. Außerdem soll die Ausgabe ihrer Ansicht nach als „Lektüre für Erwachsene“ erst an Kunden ab 16 verkauft werden dürfen.

Für Anwalt Alain Berenboom, der den Tintin-Rechteinhaber, die Firma Moulinsart, vertritt, geht das alles zu weit. Wenn Tintin als „rassistische Propaganda“ eingestuft werde, dann müssten auch weite Teile der Weltliteratur verboten werden, eingeschlossen die Bibel, „eine ausgesprochen schockierende Textsammlung“.

Belgien hat sich bis heute nicht entschuldigt

Doch im Fall Tintin geht es nicht nur um die alte Debatte um die Freiheit und Moral der Kunst. In der Klage spiegelt sich das historische Trauma Belgiens und des Kongo wider. Belgien brauchte Jahrzehnte, um die koloniale Vergangenheit in ihrer ganzen Brutalität einzugestehen. Im Kongo - zuerst Privatbesitz von König Leopold II., später Kolonie - verbreiteten die belgischen Herren Angst und Schrecken. Erst 2002 entschuldigte sich das Land für seine unrühmliche Rolle bei der Ermordung des ersten frei gewählten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba 1961. Für die Unterstützung der Diktatur Joseph Mobutus jedoch fand die ehemalige Kolonialmacht bis heute kein Wort der Entschuldigung.

Nach wie vor erinnern in Brüssel Denkmäler an die angeblich „zivilisierende” Mission in Afrika. Den Bau des gigantischen Justizpalasts, in dessen Dunstkreis auch das Rassismus-Verfahren stattfindet, finanzierte König Leopold II mit Raubgut aus dem Kongo raubte. So droht auch der rasende Jung-Reporter Tintin ein spätes Opfer dieser düsteren Vergangenheit zu werden: Statt in der munteren Gesellschaft von fiktionalen Helden wie Tom Sawyer, Jim Knopf oder Kim aus dem „Dschungelbuch“ ein sympathischer Botschafter seiner Heimat zu sein, könnte er sich per Gerichtsbeschluss bei denen wiederfinden, die in der Realität Schande gebracht haben über Belgien.