London. .

Seit 40 Jahren sind Schwangerschaftsabbrüche in England erlaubt, doch über sie spricht man heute nicht offener als damals. Das Tabuthema will nun ein TV-Sender knacken: Montag strahlt Channel 4 erstmals Reklame eines Abtreibungsanbieters aus. Die Wogen der Empörung schlagen schon jetzt hoch.

Die junge Frau steht an der Bushaltestelle und schaut bedrückt auf die Straße vor ihr. „Bist Du überfällig“, fragt ein Textband am Rand. Dann laufen die Kontaktdaten von „Marie Stopes International“ über den Bildschirm. Jährlich 65 000 Abbrüche führt die Nonprofit-Organisation in England und Wales durch. Jede dritte Frau habe schon einmal im Leben abgetrieben, argumentiert der Anbieter, doch nur 42 Prozent wüssten, an wen sie sich bei einer ungewollten Schwangerschaft wenden können, wenn sie ihrem Hausarzt nicht vertrauen.

In sozialer Isolation

„Es hilft keinem, das Thema unterm Deckel zu halten“, sagt Julie Douglas, Sprecherin der Organisation, „Abtreibungen sind legal und Frauen haben das Recht, sich über Optionen zu informieren.“

Die jährlich 350 000 Anrufe bei der Notrufnummer der Organisation zeigen aber, dass fehlende Ansprechpartner nicht das Hauptproblem sein dürften. Mit dem Spot inmitten der neuen Quiz-Show „The Million Pound Drop Live“ soll vielmehr die soziale Isolation ungewollt Schwangerer durchbrochen werden.

Über Abtreibungen spricht man nicht, schon gar nicht im Königreich, wo sensible Themen traditionell mit größter Vorsicht umschifft werden. „Wir wollen Frauen ermutigen, offen über ihre Alternativen zu diskutieren“, sagt Douglas. Die wütenden Reaktionen eilen dem Tabubruch voraus: Der Werbespot wurde noch nicht ausgestrahlt, da steht er schon im Kreuzfeuer der Kritik. „Für eine Abtreibung muss man sich nicht schämen, aber man sollte damit auch nicht hausieren gehen“, wettert ein Boulevardblatt. Klammheimlichkeit und Diskretion sei bei einem Schwangerschaftsabbruch durchaus angebracht.

Bischöfe machen mobil

Bischöfe und Abtreibungsgegner machen erst recht mit moralischen Argumenten und drastischen Formulierungen mobil. Michaela Aston von der Gruppe „Life“ kritisiert, dass der TV-Spot Abtreibungen salonfähig mache. Und Peter Saunders, Vertreter der christlichen Mediziner, fürchtet mit heftigen Worten. dass „noch mehr Frauen auf dem Fließband der hiesigen Abtreibungsindustrie landen“ werden. Selbst Befürworter sehen der Werbung mit gemischten Gefühlen entgegen: Es sei geschmacklos, Abbrüche genauso wie Waschpulver oder Lippenstift zu bewerben.

In Nordirland ist der Fernsehspot bereits verboten worden; in England kämpfen die Abtreibungsgegner in letzter Minute noch gegen seine Ausstrahlung. Ihr Einsatz dürfte allerdings vergeblich sein, da die Aufsichtsbehörden den Spot bereits genehmigt haben.