Brüssel. .

Der Hauptsitz der EU-Organisationen ist zugleich ein riesiges Spielfeld für Lobbyisten. In Brüssel versuchen täglich mehr Einflüsterer als in Washington, die Politik im Sinne ihrer Arbeitgeber zu beeinflussen. Nicht nur das: Viele schreiben sogar an der Gesetzgebung mit.

Am Kreisverkehr mit der zerrupften Grünfläche schlägt das Herz Europas. Staatschefs tagen hier im rostfarbenen Ratsgebäude, Bürokraten entwerfen gleich nebenan Gesetze, Parlamentarier schmieden ihre Allianzen nur einen Katzensprung entfernt. Und 15.000 Menschen setzen alles daran, diese Vorgänge im Sinne ihrer Arbeitgeber zu beeinflussen. In Brüssel gibt es mittlerweile mehr Lobbyisten als in der US-Hauptstadt Washington.

Auch die zierliche Frau, die eine kleine Gruppe Interessierter durchs Europaviertel lotst, lebt vom Lobbyismus. Doch Pia Eberhardt arbeitet nicht für die großen Interessenverbände sondern gegen sie. Die 31-Jährige ist für „Corporate Europe Observatory“ (CEO) aktiv, eine Gruppe, die sich die Überwachung der Lobbyisten zur Aufgabe gemacht hat. Die Stadtführungen sind ein publikumswirksamer Weg, auf das Treiben der Interessenvertreter aufmerksam zu machen.

Keine Meldepflicht

„Den Marktplatz der Ideen gibt es hier nicht“, stellt Eberhardt fest und setzt sich in Bewegung. Was sie beschreibt, gleicht eher einem Verdrängungswettbewerb der Interessen, der für Außenstehende nur schwer zu durchschauen ist – zumal es in Brüssel, anders als in den USA, keine Meldepflicht für Lobbyisten gibt, sondern nur ein freiwilliges Register.

Gleich der erste Zwischenstopp in der Avenue de Cortenberg steht in Verbindung mit einer der größten europäischen Lobby-Schlachten des vergangenen Jahrzehnts: Hier residiert der deutsche Chemiekonzern BASF, einer der Hauptakteure im Ringen um die Chemikalienrichtlinie REACH, die dem Schutz von Mensch und Umwelt vor gesundheitsschädigenden Stoffen dienen soll. Manager des Unternehmens arbeiteten erst innerhalb der EU-Kommission mit an der Entstehung der Richtlinie, später im deutschen Wirtschaftsministerium.

Externe Expertise nötig

Anti-Lobbyorganisationen zufolge sind solche Praktiken gang und gäbe. Während das Grüppchen sich über kopfsteingepflasterte Seitenstraßen wieder Richtung EU-Kommission bewegt, setzt Stadtführerin Eberhardt zu einer Erklärung an. 25.000 Mitarbeiter hat die Zentralverwaltung der EU, ein Drittel davon entfallen auf Übersetzerdienste und Sekretärsposten. Das klingt nach viel Personal, aber ohne externe Expertise lässt sich die Gesetzgebung in komplexen Sachgebieten kaum bewältigen. In diese Bresche springt die Privatwirtschaft, in über tausend Arbeitsgruppen arbeiten Industrievertreter, Eurokraten und Politiker Hand in Hand.

Nicht jedem ist diese Hilfestellung geheuer. Die Europaabgeordnete Avril Doyle war vor einigen Jahren maßgeblich an der Ausarbeitung des europäischen Emissionshandels-Schemas beteiligt. Die Lobbyisten rannten der Irin offenbar die Tür ein – bis ihr schließlich der Kragen platzte. Sie veröffentlichte eine Liste mit allen 168 Gruppen, die sie im Laufe des Verfahrens kontaktiert hatten.

Gang durch die „Drehtür“

Derartige Ausbrüche allerdings sind selten. Häufig ist das Verhältnis zwischen Politik, Verwaltung und Industrie sogar auffällig gut. Viele, wie etwa der ehemalige Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, der nun beim Billigflieger Ryanair unterkommt, wechseln aus einer politischen Position in die Privatwirtschaft. Sie „gehen durch die Drehtür“, wie es im Jargon heißt. Ihre Kontakte nehmen sie mit.

„Nur weil die Leute nicht mehr in der Kommission sind, haben sie ja nicht ihr Netzwerk aufgegeben“, sagt Eberhardt. Bei einem kleinen Bäumchen im Schatten des EU-Parlaments bleibt sie stehen. „Wichtige Dinge müssen entschieden und im Gespräch gelöst werden“, steht auf der Tafel davor, „mit Entschlossenheit, Geduld und Engagement.“ Das Gewächs wurde 2001 von der Society of European Affairs Professionals (SEAP) gepflanzt, einer Lobbygruppe der Brüsseler Lobbyisten. Es ist Symbol all dessen, was Eberhardt und ihre Kollegen am derzeitigen System kritisieren.

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Das aktuelle Buch „Bursting the Brussels Bubble“ sowie Informationen zu lobbyistischen Stadtführungen gibt es unter http://www.corporateeurope.org/, http://www.alter-eu.org/ oder http://www.lobbycontrol.de