Rostock. .
Knapp drei Jahre nach ihrer Gründung wechselt die Linkspartei heute ihre komplette Führungsspitze aus. Falls Oskar Lafontaines Vermächtnis in seiner Abschiedsrede allzu radikal ausfallen sollte, schließt der Reform-Flügel aber auch scharfe Kontroversen über das Parteiprogramm nicht aus.
Wenn einer wie Gregor Gysi vor einem zukunftsweisenden Konvent seiner Linkspartei sagt, er sei „relativ optimistisch“, dann heißt das wohl in Wahrheit: Irgendwo könnte doch ein rhetorischer Sprengsatz versteckt liegen, der plötzlich hochgeht und alles in Trümmer legt.
Um das zu verhindern, pocht der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag bis zuletzt auf zwei Errungenschaften, von denen er sich disziplinierende Wirkung erhofft.
Tiefe Zerrissenheit
Erstens: Das maßgeblich von ihm selbst in einer Nachtsitzung ertrotzte Personal-Tableau für die künftige Parteispitze nach Oskar Lafontaine und Lothar Bisky, das Samstagnachmittag in der Rostocker Stadthalle zur Abstimmung steht, wurde von der zuweilen launischen Mitgliedschaft bereits in Urabstimmung im Kern abgesegnet. Zweitens: Nach dem Wahlerfolg in NRW sitzt die Linke in 13 von 16 Landtagen und stellt mit rund 79 000 Mitgliedern nach CDU, SPD und CSU die viertgrößte Partei im Lande. Fakten, die Gysi nicht von den Streithanseln in den eigenen Reihen zerredet haben will.
Dabei weiß auch er, dass die opulente Lösung für die künftige Spitze – der bayrische Gewerkschafter und WASG-Mitgründer Klaus Ernst und die Berliner Ex-PDS-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch als Doppelspitze, dazu je zwei Stellvertreter, zwei Bundesgeschäftsführer sowie zwei „Parteibildungsbeauftragte“, besetzt nach politischen Flügelkriterien und Ost-West-Proporz – die tiefe Zerrissenheit der Partei an sich dokumentieren. Für den Fall, dass Oskar Lafontaines Vermächtnis in seiner Abschiedsrede am Samstagmittag allzu radikal und systemveränderungswütig ausfallen sollte, schließt der fast durchweg aus dem Osten stammende Reform-Flügel nicht aus, dass es zu scharfen Kontroversen über das erst Ende 2011 zur Abstimmung stehende Parteiprogramm kommen kann. An dem Entwurf scheiden sich die Geister. Nicht so sehr, weil er aktuelle Positionen aufnimmt, wie die Aufkündigung der Hartz-Gesetze, die Einführung flächendeckender Mindestlöhne oder den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
„Der pauschale Wir-sind-fundamental-gegen-alles-Ton ist es, der uns nicht weiterbringt“, heißt es im Umfeld jener Kräfte, die einen konstruktiven und auf Koalitionsfähigkeit mit der SPD angelegten Kurs fahren möchten. Ein Aspekt, der die Regisseure von Rostock umso mehr umtreibt, seit in NRW die Option für ein rot-rot-grünes Bündnis auf dem Tisch liegt.
„Signale, die Kompromissbereitschaft verheißen und keinen Hang zu unnötigem Fundamentalismus, sind wichtig“, sagt ein Mitglied der Parteizentrale; „anders kann man niemandem vermitteln, dass wir regierungstauglich sein wollen.“ Klaus Ernst, der designierte Co-Vorsitzende neben Frau Lötzsch, hat den Ball gestern in einem Interview bereits vorsichtig aufgenommen. Sowohl eine Vergesellschaftung der Energiekonzerne RWE und Eon wie auch die 30-Stunden-Woche, sagte er zu zwei Kern-Anliegen der NRW-Linken, seien von einer Landesregierung doch allein gar nicht zu stemmen.
Ein Horrorszenario
Reform-Sympathisanten wie der Berliner Linkspartei-Chef Klaus Lederer erkennen darin eine leise Abkehr vom durchweg antikapitalistischen Tenor, den der von Lafontaine geprägte Parteiprogramm-Entwurf trägt. Darin, so Lederer, werde die Lebenswirklichkeit der Deutschen vorwiegend als „blankes Horrorszenario“ beschrieben. Eine Haltung, die etwa die Kommunistische Plattform um Sahra Wagenknecht auf die Palme bringt. Wohl auch darum spricht Gregor Gysi vor Parteitagsbeginn nur von „relativem Optimismus“.