Aachen. .

Für seine Rolle als „Schrittmacher“ der europäischen Integrationhat Polens Ministerpräsident Tusk den Internationalen Karlspreis bekommen. Er wurde ihm in Aaachen verliehen. Die Laudatio hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Angela Merkel kann kein Pathos? Von wegen: In Aachen, bei der Verleihung des Karlspreises an den polnischen Premier Donald Tusk, hat sie voll in die Tasten gegriffen. Es geht um die Krise, um Griechenland, den Euro, um die horrenden Beträge für die überschuldeten Südländer. Die Kanzlerin stellt die Frage, die sich viele Deutsche in diesen Tagen stellen: “Warum Griechenland retten? Warum den Euro retten?” Und gibt Anworten, die sie so vollmundig bislang nicht gegeben hat: “Weil wir spüren: Scheitert der Euro, dann scheitert nicht nur das Geld. Dann scheitert Europa, dann scheitert die Idee der europäischen Integration - die bestechendste Idee, die Europa je gesehen hat!”

Eine mitreißende Vortragskünstlerin wird aus der spröden Norddeutschen, seit 2008 selbst Trägerin des Karlspreises, nie. Auch ihre Worte im Krönungssaal des Aachener Rathauses, der einstigen Kaiserpfalz Karls des Großen, vibrieren nicht gerade vor Emotion. Aber als Bekenntnis könnten sie klarer nicht sein: Die EU steckt in einer “existenziellen Krise”, sie steht vor “ihrer größten Bewährungsprobe seit 1990”, wenn nicht seit der Gründung 1957 - die deutsche Regierungschefin gibt Großalarm, sie warnt vor dem Europa-Gau.

Knauserig und entscheidungsschwach

Damit zieht sie rhetorisch gleich mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der hatte vor einer Woche, in einer denkwürdigen nächtlichen Rede nach dem jüngsten Euro-Krisengipfel, seinerseits umrissen, worum es geht: um den Euro, um Europa, um Krieg und Frieden. Seither hat Merkel, die sich bei der Gelegenheit mit drei dürren Sätzchen von der Szene stahl, etwas gut zu machen, nicht nur rhetorisch. Im Schuldendrama steht die Kanzlerin als knauserig und entscheidungsschwach da. Auch frühere Bewunderer fragen sich, ob sie den Kompass verloren habe, der in der deutschen Politik seit den Tagen Adenauers für klaren proeuropäischen Kurs sorgte.

Jetzt bestimmt die Bild-Zeitung mit rabiaten anti-griechischen Tönen das Klima im Lande. “Angela Merkel hat billigend eine anti-europäische Stimmung in Deutschland in Kauf genommen”, wettert der EU-Parlamentarier Martin Schulz auf dem traditionellen Karlspreis-Forum am Vortag der Preiszeremonie. Schulz ist Fraktionsvorsitzender bei den Sozialisten, aber die Irritation reicht weit hinein in die Reihen der schwarzen Konkurrenz.

Merkel kennt das unvorteilhafte Bild, das man sich derzeit von ihr macht: die “Zögernde, Zaudernde, Stabilitätsbesessene, Abwägerin und Spätentscheiderin”. Das gibt Beifall vom hochmögenden Aachener Festakt-Auditorium – wobei offen bleibt, ob die Rednerin über sich selbst spöttelt oder über ihre irregeleiteten Kritiker. Beim nachfolgenden europäischen Glaubensbekenntnis der CDU-Kanzlerin gibt es hingegen kein Vertun. Da klatscht sogar der SPD-Mann Schulz.