Essen. .

Der Essener Stadtteil Katernberg ist ein sozialer Brennpunkt. Libanesen, Türken, Kurden, Deutsche, lernschwache und schlaue Kinder – sie alle sollen an der Carl-Meyer-Schule mit einbezogen werden, sich dazugehörig fühlen. Islamkunde in deutscher Sprache soll dabei helfen.

Arabische Sprachfetzen wabern durch den Raum, zwei Jungs knuffen sich gegenseitig, ein Mädchen überprüft die Haarnadeln, guckt, ob ihr Kopftuch noch richtig sitzt. Dann liest Mustafa Tütüneken aus dem Koran vor: „Allah liebt die Menschen, die sich reinigen“, sagt der Lehrer für Islamkunde, denn Körperpflege ist das Unterrichtsthema.

Warum der Prophet Mohammed es nicht mag, wenn jemand, der Knoblauch gegessen hat, zur Moschee geht, wie lange man braucht, um ein Kopftuch anzulegen, und ob man jeden Morgen die Zähne putzen sollte – diese Fragen stehen auf dem Lehrplan. Zähneputzen? „Nee, da hab ich kein Bock“, sagt ein Junge. Doch seine gegelten Haare und seine aufeinander abgestimmten Klamotten sprechen eine andere Sprache.

Gut von schlecht unterscheiden

„Sauberkeit ist ein Teil des Glaubens“, sagt Mustafa Tütüneken. Doch der 36-Jährige will den Sechst- und Siebtklässlern der Carl-Meyer-Schule in Essen-Katernberg nicht nur die Hygiene nahelegen. Wichtig sei die innere Reinheit, „die innere Kontrolle, gut von schlecht zu unterscheiden“. Man soll nicht lügen, töten, klauen, sondern helfen, nützlich sein und sich schützen. So steht es im Koran.

Und darum geht es: Die Schüler sollen unabhängig von Herkunft und Muttersprache sachlich über den Islam informiert werden, damit sie ein Bild ihrer Religion haben. Seit 1999 gibt es in Nordrhein-Westfalen den Schulversuch „Islamkunde in deutscher Sprache“ als religionskundliches Angebot, informiert das Schulministerium auf seiner Homepage. 107 Lehrkräfte unterrichteten im Schuljahr 2008/ 2009 an 128 Schulen rund 10 000 Schüler.

„Damit die Schüler nicht jedem glauben.“

Will, dass seine Schüler nicht jedem glauben: Islamkunde-Lehrer Mustafa Tütüneken. (Fotos: Vera Kämper)
Will, dass seine Schüler nicht jedem glauben: Islamkunde-Lehrer Mustafa Tütüneken. (Fotos: Vera Kämper)

Einer dieser 107 Lehrkräfte ist Mustafa Tütüneken. Er will das Wissen der Schüler über den Islam auf eine „etablierte Ebene“ bringen. „Manche Schüler glauben an Dschinns, also an Dämonen, oder folgen alten Bräuchen, die ihre Eltern zu einem Teil ihres Glaubens gemacht haben“, erzählt der Lehrer. Doch was genau der Koran besagt, wüssten die wenigsten. Deswegen will Tütüneken aufklären: „Wenn ich weiß, woher ich komme, wie ich mich selbst definiere, und meine Grenzen erkenne, dann können auch andere mich erkennen.“

Und nur so könnten seine Schüler wiederum extreme religiöse Einstellungen, wie zum Beispiel die in der Kaplan-Bewegung, erkennen. „Das Potenzial für Extrem-Bewegungen ist da“, sagt Tütüneken. Deswegen will er seine Förderschüler schon früh aufklären. „Islamkunde soll Bewusstsein schaffen, damit die Schüler nicht jedem glauben.“

„Es gibt schon Parallelwelten.“

„Den Herrn Tütüneken hätte ich gerne schon vor 16 Jahren an dieser Schule gehabt“, sagt Schulleiter Siegmund Schiborr. Er bezeichnet den Islamkunde-Unterricht als Schritt in die richtige Richtung. Sein Ziel ist die „Inklusion“ von Ausländern, doch er weiß: „Wir kommen zu spät. Es gibt schon Parallelwelten.“ Seit 16 Jahren ist er Leiter der Förderschule in Katernberg, und er weiß, wovon er redet.

Der Essener Stadtteil Katernberg hat einen Ausländeranteil von 40 Prozent, ebenso ist das Verhältnis der Schüler an der Carl-Meyer-Schule. Libanesen, Türken, Kurden, Deutsche, lernschwache und schlaue Kinder – sie alle sollen an seiner Schule mit einbezogen werden, sich dazugehörig fühlen.

Doch diesen Plan umzusetzen, ist nicht immer leicht. Schiborr hatte bereits einen Polizeigroßeinsatz an seiner Schule, weil zwei Mädchen sich stritten, und ihre großen Brüder das Problem „klären“ wollten. Schiborr wurde von einem libanesischen Vater bedroht, der handgreiflich wurde, weil ein Mitschüler seine Tochter „unsittlich“ angefasst habe. Schiborr wurde von einem Schüler belogen, der „bei Allah“ schwor, sich nie wieder zu prügeln – und dann doch genau deswegen von der Schule flog.

Einmal die Woche zur Moschee

Doch der 62-jährige Schulleiter ist trotzdem nicht bereit aufzugeben, bezeichnet sich als „Weltverbesserer“ und lacht. Zum Fastenbrechen in der islamischen Gemeinde geht er nur nicht mehr, weil sein deutscher Magen das Essen nicht verträgt. Doch er bleibt in Kontakt mit den Eltern, den Imamen, der Gemeinde. Notfalls organisiert er Dolmetscher, um Verständigung zu erreichen. Schließlich sagen die meisten Kinder in Tütünekens Klasse, dass sie mit ihren Eltern nicht deutsch sprechen. Und dass sie mindestens einmal in der Woche in die Moschee gehen, manche sogar jeden Tag.

Schiborr wundert sich jedoch zunehmend über die „mittelalterlichen Strukturen“, die in einigen Familien herrschen, über die Abschottung vor allem der libanesischen Familien und über die steigende Kriminalität.

„Die Familien müssen erfahren, dass sie hier mit ihrem Glauben eine Chance haben. Die Inklusion funktioniert in Ansätzen, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns“, sagt Siegmund Schiborr. Islamkunde soll helfen. „Wenn wir diese Chance vertun, werden wir bald Parallelwelten haben, die uns noch Kopfschmerzen bereiten werden.“

„Ist der Islam integrierbar?“ lautete die Frage beim Reitz-Thema, der Talk-Runde mit dem WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz am Montagabend. Der Talk im Fernsehen: Mittwoch, 28. April, 22 Uhr auf NRW.TV.