Kabul. .
Ein afghanischer Offizier soll den Taliban bei einem Sprengstoff-Anschlag auf deutsche Soldaten geholfen haben. Die Gewerkschaft der Polizei spricht sich gegen die neue Afghanistan-Strategie aus und den gemeinsamen Einsatz mit Bundeswehrsoldaten und einheimischen Sicherheitskräften aus.
Vertreter westlicher Geheimdienste und auch Militärs zweifeln am Erfolg der neuen NATO-Strategie des „Partnering“ für die „eng verzahnte“ Zusammenarbeit mit den afghanischen Soldaten. „Wir haben sehr gemischte Gefühle für die neue Doktrin des ISAF-Oberkommandierenden Stanley McChrystal“, erklärten Geheimdienstler und Offiziere der Nachrichtenagentur ddp am Wochenende in Kabul. Sie berichteten von einem „schlimmen Verdacht“, der gegen einen afghanischen Offizier bei der jüngsten gemeinsamen Offensive deutscher und afghanischer Soldaten gegen die Taliban-Kämpfer aufgekommen ist.
Deutsches Panzerfahrzeug absichtlich auf Sprengfalle angehalten?
Es werde nach den Untersuchungen vermutet, dass der afghanische Offizier bei der Offensive in der Region Baghlan am 15. April das deutsche Panzerfahrzeug „Eagle“ genau an der Stelle nahe einer Brücke angehalten hat, an der die Taliban eine Sprengfalle versteckt hatten. Bei der Explosion wurden drei Bundeswehrsoldaten getötet. Ein vierter Soldat, ein Oberstabsarzt, wurde am selben Tag von den Taliban beim Beschuss seines Rettungswagens vom Typ „Yak“ getötet.
„Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass der Offizier mit den Taliban unter einer Decke steckte“, erklärte ein Angehöriger eines westlichen Geheimdienstes ddp. Die Taliban hätten „überall ihre Finger drin“. Sie hätten die afghanische Armee, die „Afghan National Army“ (ANA), „in vielen Bereichen unterwandert“, erklärte der Geheimdienstler. Die Bundeswehrsoldaten hatten bei ihrem Einsatz gegen die Taliban in Nordafghanistan rund tausend afghanische Soldaten an Gefechtstaktiken ausgebildet.
US-General McChrystal hatte gerade bei seinem Besuch in Berlin für sein neues Konzept des „Partnering“ geworben. Er sieht darin für die internationalen Truppen am Hindukusch den „einzigen Schlüssel“ um das Ruder im Kampf gegen die Taliban zugunsten des Westens herumzureißen. Auch die Bundeswehrsoldaten sollen jetzt mit ihren afghanischen Kameraden bei der Ausbildung zusammen „im Feld“ kämpfen, gemeinsam essen und leben. Sie sollen in den Dörfern mit den Afghanen Patrouille gehen und den „engen Anschluss an die Bevölkerung suchen“. Mit der Ausbildung der afghanischen Soldaten in den gesicherten Feldlagern der Bundeswehr ist es vorbei.
Hohe Risiken für deutsche Soldaten
Der „Zweiklang“ von Kämpfen und in Zelten campieren weit ab der gesicherten Stützpunkte bedeutet nach Ansicht der Geheimdienstler und Militärs jedoch, dass die Risiken für die deutschen Soldaten noch weit höher werden als sie es bisher schon sind. Darüber hinaus klagen die deutschen Soldaten über die Unzuverlässigkeit der afghanischen Kameraden. Auch US-Offiziere wiesen darauf hin, dass zum Beispiel bei der jüngsten Offensive im südlichen Helmand unter den afghanischen Soldaten ein „erheblicher Schwund festgestellt werden musste“. Plötzlich sei ein Teil der Afghanen „weg gewesen“, stellte ein US-General fest. Mit der Verlässlichkeit der afghanischen Soldaten sei „das so eine Sache“.
Auch Bundeswehroffiziere zeigten sich nach ihren Erfahrungen mit den Afghanen, die oft weder lesen noch schreiben können, „sehr skeptisch“ über den Schulterschluss. Als Beispiel führten sie eine Operation an, bei der die „ANA“ 500 Soldaten zur Teilnahme zugesagt hatte, die um acht Uhr morgens antreten sollten. Gegen Mittag seien „dann endlich 150 Mann vor Ort gewesen“, wurde berichtet. Wenn ein afghanischer Soldat Schwierigkeiten mit seinem Gewehr habe, komme es schnell vor, dass er es einfach gegen den nächsten Baum „schmettert“, um eine Lösung des Problems zu finden. Bei der Bundeswehr gilt die Anordnung: „Gewehr sichern, entladen, nach den Ursachen des Problems suchen“.
„Alles auf eine Karte setzen“
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte McChrystal zwar die Umsetzung der neuen NATO-Doktrin zu, wies aber unumwunden darauf hin, dass die neuen Risiken „gefährlich, zum Teil sehr gefährlich sind“. Die Geheimdienstler, unter ihnen sogar auch Angehörige der CIA, machten kein Hehl aus ihrer Einschätzung, dass McChrystal „jetzt alles auf eine Karte setzt“.
Nach seiner Absicht sollen die Militäroperationen und die verstärkten Anstrengungen für die Ausbildung der afghanischen Soldaten in diesem Jahr dazu führen, dass der Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan ab Mitte 2011 beginnen kann. McChrystal will nach eigener Aussage erreichen, dass mit der „Eroberung der Fläche“ die einmal besetzten Räume dauerhaft gehalten werden können, und zwar durch die afghanische Armee.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte am Freitag beim Außenministertreffen des atlantischen Bündnisses in der estnischen Hauptstadt Tallinn zur neuen Partnerschaft mit den afghanischen Sicherheitskräften: „Wir sollten keine Illusionen haben. Fortschritte wird es nicht schnell und nicht leicht geben“.
Polizeigewerkschaft gegen neue Afghanistan-Strategie
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich entschieden gegen die neue NATO-Strategie in Afghanistan gewandt. „Wir sind nicht am Hindukusch, um die Taliban zu bekämpfen“, sagte GdP-Vorsitzender Konrad Freiberg der Zeitung „Rheinpfalz am Sonntag“ laut Vorabbericht. Es gehöre auch nicht zu den Aufgaben der deutschen Polizisten, sich künftig vermehrt gemeinsam mit Bundeswehrsoldaten und afghanischen Sicherheitskräften im Straßenbild zu zeigen. „Das halten wir für das falsche Konzept und lehnen es vehement ab“, sagte der Gewerkschaftschef.
Bei der Ausbildung in den gesicherten Feldlagern der Bundeswehr müsse es bleiben. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass auch Polizeiangehörige, die Teil der zivilen Verwaltung seien, in Schusswechsel gerieten, bei denen Afghanen oder deutsche Polizisten getötet werden könnten. Die deutschen Polizeikräfte seien zur Ausbildung afghanischer Ordnungskräfte entsandt worden und keine „Bürgerkriegspolizei“.
Kritik an Aufstockung polizeilicher Ausbilder
Eine Aufstockung der Zahl der gegenwärtig nach Afghanistan entsandten 140 polizeilichen Ausbilder sieht Freiberg außerordentlich kritisch. Es gehe nicht an, in Deutschland die Zahl der Polizisten immer weiter zu verringern und am Hindukusch zu erhöhen.
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, übte harsche Kritik an der Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Kujat sagte am Freitag bei der Aufzeichnung der N24-Sendung „Was erlauben Strunz“ nach einem Vorabbericht des Senders: „Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist völlig konfus. Ich habe den Eindruck, dass sie selbst nicht weiß, was sie macht. Nach Ansicht Kujats wird in Afghanistan „weder gesagt, was wir dort erreichen wollen, noch wird gesagt, was die Konsequenzen wären, wenn wir rausgingen. Sondern wir befinden uns in einem Schwebezustand.“ Dies sei im Grunde genommen ein „Durchwurschteln“.
Keine Diskussion im Bundestag
Kujat fügte hinzu: „Es wird ja nicht Politik gemacht, sondern man lässt sich treiben. Wenn Obama A sagt, dann sagen wir auch A. Aber wir sind ein souveränes Land. Wir haben eigene Interessen. Und nur dann, wenn unsere eigenen Sicherheitsinteressen betroffen sind, sind wir verpflichtet, dort einzugreifen. Und das muss man klären. Im Bundestag findet doch keine Diskussion zu diesen Fragen statt.“
Die zivilen Hilfen für Afghanistan sollen nun verdoppelt werden. „Wir wollen den Strategiewechsel. Wir werden das zivile Engagement verdoppeln: Insgesamt sollen im Jahr 430 Millionen Euro für zivile Aufbauarbeit bereit stehen“, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel dem „Reutlinger General-Anzeiger“. Von dieser Gesamtsumme würden 250 Millionen Euro aus dem Etat des Entwicklungsministeriums bestritten: „Das sind eine Milliarde Euro in der Legislaturperiode. Und das ist genauso viel, wie die beiden Vorgängerregierungen zwischen 2002 und 2009 insgesamt für zivile Maßnahmen eingesetzt haben“, sagte er. Das sei eine „echte Entwicklungs-Offensive“.
Ziel sei ein Konzept der „vernetzten Sicherheit“. Zu diesem Gesamtpaket gehöre selbstverständlich die Ausbildung der Polizei, das sei wesentlich. Vernetzte Sicherheit bedeute jedoch nicht, „dass Entwicklungshelfer jetzt Uniform tragen oder Soldaten Brunnen bohren. Aber wir müssen die Arbeit gut koordinieren“. Entwicklungshelfer müssten wissen, ob der Ort, in dem sie tätig werden, militärisch sensibel sei. (ddp)