Wuppertal. .

Vor dem Landgericht begann am Mittwoch der Prozess gegen den mutmaßlichen Peiniger der neunjährigen Kassandra. Dem erst 15-Jährigen aus Velbert-Neviges wird vorgeworfen, das Kind im September 2009 misshandelt und in einen Gully gesteckt zu haben.

Denn weil dieser Angeklagte noch so jung ist, wird der „Fall Kassandra“ unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Es gibt kein Publikum; der Journalistenpulk mit seinen Kameras und Mikrofonen wird ausgesperrt. „Nicht öffentlich“ leuchtet an der Tür, an der nicht einmal der Name des Angeklagten steht.

Niemand außerhalb der 3. Großen Strafkammer sieht den jungen Angeklagten, der früh um viertel vor acht vor dem Wuppertaler Landgericht vorgefahren wird, in einem Kleinbus mit verdunkelten Scheiben. Niemand sieht seine Eltern, die durch einen Hintereingang in den altehrwürdigen Saal L 147 geführt werden; auf dem Flur hallt nur das Schweigen seiner Anwältinnen nach. Und niemand wird deshalb hören, wie der 15-Jährige nach einem halben Jahr Untersuchungshaft endlich nicht mehr bestreitet, etwas mit der Sache zu tun zu haben.

Beweislage sehr dicht

Ein „Geständnis“, wie Medien in übereinstimmender Euphorie am Nachmittag melden, ist es im juristischen Sinne nicht, was der Schüler einer „Schule zur Förderung der emotionalen und sozialen Kompetenz“ am ersten Prozesstag ablegt. Eine „Einlassung“ nennen es Juristen, dass er sich einem „Ich war’s“ zumindest nähert. Schließlich: Unter dem gekrönten Haupt der Justitia in Mosaik, hinter sich den Glaskasten für Schwerverbrecher, vor sich die leeren Holzbänke des über hundert Jahre alten Saals, bestätigt der 15-Jährige keinesfalls, was die Anklage ihm vorwirft: dass er einen Mord versucht habe zur Verdeckung einer Straftat. Und schon gar nicht sagt er, warum.

Am Morgen allerdings ist der Staatsanwalt noch von einem reinen Indizienprozess ausgegangen: „Die Beweislage ist sehr dicht“, wiederholt Rüdiger Ihl gebetsmühlenartig in die Kameras, spricht von Faserspuren, von DNA-Spuren und betont immer wieder, man habe „jede Menge Zeugenaussagen“. Am Rande aber sagt er auch diesen Satz: „Eine Einlassung hätte sicher erhebliche Auswirkungen auf das Strafmaß.“ Der Angeklagte dürfte das nicht gehört haben, dass er sich später bewegt, tut nicht nur womöglich ihm selbst gut: So erspart er Kassandra eine Aussage.

Kind gegen Kind

Vorerst jedenfalls. Am Freitag hätte sie kommen sollen, aus den Ferien, dann hätte das Mädchen dem nur gut vier Jahre Älteren gegenüber gesessen. Nach monatelangen Krankenhaus-Aufenthalten, nach ausführlicher Reha, nach vielen therapeutischen Sitzungen und noch immer ohne Erinnerung an die Tat – nur wenige Tage, bevor es endlich wieder die Schule besuchen kann. „Kind gegen Kind“ nennt ein Reporter diese Situation. Von 17 geplanten Prozesstagen fiele einer im Juni auf Kassandras Geburtstag – vielleicht gibt es bis dahin nun schon ein Urteil.

Für die dann Zehnjährige wäre das „sicher schön“, sagt jemand aus ihrem Umfeld, der sie als „erstaunlich munter“ beschreibt. Aber das ist ja nur das Äußere, sagt auch Rechtsanwalt Holger Boden, der die Eltern als Nebenkläger vertritt. Wie es der Kinderseele tatsächlich gehe, sei „schwer einzuschätzen“. Wie sehr der Kinderkörper geschunden war, muss sich Boden am Mittwoch noch einmal ansehen: auf den Fotos, die die Ermittler machten, nachdem Polizeihund Christo das halbtote Wesen im Gully entdeckt hatte. „Sehr schwer zu verdauen.“

Trotzdem stellt sich auch Kassandras Vater dem neuerlichen Entsetzen – und der Begegnung. „Er hat den ersten Tag sehr gut weggesteckt“, lobt sein Anwalt. Zwar ist dem schmalen Gerüstbauer seine Anspannung deutlich anzusehen. Der Beginn des Prozesses aber und das Gefühl, in dem 15-jährigen Verdächtigen tatsächlich den Schuldigen gefunden zu haben, habe ihn „erleichtert“.