Duisburg. .
Der „Hells Angels“-Prozess in Duisburg ist am Mittwoch unter starkem Polizeischutz weitergegangen. Der Angeklagte Timur A. schweigt. Doch die Aussagen eines Zeugen lassen aufhorchen: War es vielleicht doch ein Bandenkrieg statt einer Beziehungstat?
Breite Schultern gegen breite Beine, Rocker-Rot gegen Polizei-Grün – es ist schon ein merkwürdiger Auftritt, dieser zweite Akt des „Hells Angels“-Prozesses in Duisburg. Hundertschaften sollen 20 bullige Männer in Schach halten – tatsächlich stehen sie ihnen Spalier. Hinein ins Gericht, hinauf in den Saal, Bandidos hier entlang, Höllenengel da und alle bitte anständig. Oben stehen die jungen Beamten als Bollwerke zwischen verfeindeten Kuttenträgern, die einander nicht mehr als mustern dürfen. Später werden sie die Rocker sogar zum Essen begleiten.
Man könnte bei diesem Schauspiel fast den Angeklagten vergessen, der doch im Mittelpunkt dieser Mordsache steht. Dabei gibt es auch da richtig was zu sehen: nicht nur die trainierten Muskeln, über denen das T-Shirt spannt, heute Rot auf Schwarz. Nicht nur die Tätowierungen bis hinauf zu den Ohren, der geflügelte Totenkopf, „Hells“ auf dem einen, „Angels“ auf dem anderen Arm und um das Handgelenk das flammend rote Bekenntnis: „AFFA“ – Angels forever, forever angels.”
Es ist vielmehr die Haltung dieses Mannes, der bei aller Kraft so viel schmaler und jünger wirkt als seine Kameraden hinten in der Bank: Timur lacht. Timur lacht sich schief, laut- aber respektlos, er lacht die Zeugen aus; zeigt mit deutlichen Gesten, dass er ihre Aussagen für Unsinn hält, sogar für „Scheiße“, wie von seinen Lippen zu lesen ist. Timur ist lässig. Grüßt grinsend in seinen Fanblock, kaut breit Kaugummi, schlägt seinen Verteidiger ab, hin und wieder sieht man ihn gelangweilt malen auf der Rückseite eines Aktenbündels. Dann wieder sitzt er an die Wand gelehnt, die Arme ausgebreitet auf der hölzernen Anklagebank – Timur A. sieht aus, als könne ihm keiner was, mehr noch: als ließe er sich feiern!
Frauen knapp verfehlt
Dabei werfen sie ihm Mord vor, heimtückischen Mord. Nach leisem juristischen Vorgeplänkel wird an diesem Mittwoch endlich die Anklage verlesen, eine kurze, aber blutige Geschichte. Sie handelt davon, wie Timur A., der 31-jährige Kampfsportler, am 8. Oktober im Duisburger Rotlichtviertel aus seinem weißen Mercedes Sportcoupé heraus einen Mann erschoss: Ashley oder auch Eschli, einen 32-Jährigen aus Gelsenkirchen. Weitere Projektile zerschossen ein Kneipenfenster und verfehlten nur knapp die Köpfe zweier Frauen auf einer Bank vor der Gaststätte.
Timur A. muss mehrmals gähnen, als er das hört, kratzt sich unbeteiligt am Kopf. Was später die Zeugen erzählen von fliegenden Gläsern und Splittern, von Blut und durchtränkten Verbänden, dazu verdreht er die Augen und sagt „erstmal nichts“. Ein 29-Jähriger berichtet von einem kurzen Wortwechsel mit Eschli, vielleicht war es seine letzte Plauderei; es ging um Fußball. Eschli war Schalker, man hatte soeben Dortmund besiegt. Danach aber soll es noch ein anderes Gespräch gegeben haben, erregte Wortfetzen drangen herüber zum Lokal „The Fat Mexican“, das den Bandidos als Clubhaus dient. Ein Beobachter berichtete der Polizei gar von folgender Aufforderung: „Steig aus und kämpfe von Mann zu Mann.“
Zeuge bestreitet Aussagen gegenüber der Polizei
Sollte Eschli das wirklich gesagt haben zu Timur – dann wäre es vielleicht doch keine Heimtücke gewesen. Es ist also wichtig, was der schmächtige Mann vor Gericht sagt, den sie „Wiesel“ nennen, der ein „Supporter“ sein will, ein Unterstützer, und tatsächlich wohl nie ein echter Bandido wird – erst recht jetzt nicht, wo im Raum steht, er könnte mit der Polizei geredet haben. „Wiesel” bestreitet das heftig, „geködert“ habe man ihn, das Polizeiprotokoll sei eine einzige „Lüge“. Einschließlich dieser Behauptung (die er selbst unterschrieb): Timur habe vergeblich versucht, in die Rotlichtgeschäfte der Bandidos in Hochfeld einzusteigen.
Also doch ein Bandenkrieg? Bisher ging man davon aus, das Mordmotiv sei Eifersucht: Eschli habe Timur das Mädchen ausgespannt. Nun aber wird dieses Mädchen wohl eine andere Geschichte erzählen, und Zeuge „Wiesel“ kann das einmal Gesagte nur schwer zurücknehmen. Es bleiben die Fakten: Eschli war ein Bandido. Und Timur ist ein Hells Angel. „Forever“.