Essen. .
Wer seiner Stadt Gutes tun will, sollte falsch parken. Oder sich ein Haustier halten. Gerne Katze, Wellensittich oder Kamel: Denn dass die noch steuerfrei sind, dürfte sich vielerorts bald ändern. In den Kommunen herrscht der Sparzwang. Und der Trend zum Bürgerschröpfen.
Nur noch 44 der 396 Städte und Gemeinden in NRW können ihre Ausgaben durch die Einnahmen decken. Etwa 40 Kommunen stehen in den nächsten fünf Jahren gar vor der Überschuldung. Neue Geldquellen erschließen wird zum Trend in den Rathäusern, nicht nur an Rhein und Ruhr. Egal wie abwegig es klingt und wie wenig es bringt – der Rotstift regiert.
Da wird selbst vor Kleinstbeträgen nicht Halt gemacht: In Mülheim etwa ist unter den 197 Punkten des städtischen Sparkonzepts sogar die Kündigung eines Musterreden-Abos im Büro von Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld (SPD) aufgeführt. Ersparnis: 350 Euro pro Jahr. Amtsleiter sollen bei Konferenzen auf den Mittagsimbiss verzichten (1000 Euro Ersparnis) und Bürgeranfragen sollen künftig per Mail, nicht mehr per Post beantwortet werden: Macht 1200 Euro weniger im Jahr.
Kleinvieh mag auch Mist machen und wer den Cent nicht ehrt, mag den Euro nicht wert sein – doch dass die Kommunen ihre Haushalte so in den Griff bekommen werden, ist nicht zu erwarten: „Aus eigener Kraft können die Kommunen die Wende nicht schaffen“, sagt Lars Holtkamp, Politikwissenschaftler an der Fernuniversität Hagen. Eine umfassende Finanzreform ist nötig, sagt Holtkamp, „aber darüber wird schon seit 20 Jahren diskutiert“. Ohne Ergebnis. Holtkamp: „Es ist auf den höheren politischen Ebenen kein Wille zu erkennen, das zu verändern“.
Straßenstrich zu Geld machen
Daher sprießen derzeit jede Menge neuer Einnahme-Ideen in den Verwaltungen und Ratssälen, die mehr Symbol sind für die kommunale Notlage, als sie den Haushalten tatsächlich aus den roten Zahlen helfen.
So überlegt also die Stadt Dortmund, für ihren Straßenstrich künftig Eintritt zu verlangen – 440.000 Euro könnte das im Jahr bringen. Hat man bisher nicht gemacht, vielleicht weil es so abwegig erschien. In Essen hält man die Idee nun ebenfalls für sinnvoll und rechnet durch eine „Sex-Steuer“ sogar 500.000 Euro Einnahmeplus in den Haushalt. Lächerliche Beträge, wie das Beispiel Dortmund zeigt: Die Stadt meldete vor zwei Wochen, dass ihr alleine in diesem Jahr wegen der Wirtschaftskrise 50 Millionen Euro Gewerbesteuer zusätzlich wegbrechen.
Dass dennoch weitere Kommunen den Beispielen folgen, darf man erwarten. Zumal Gelsenkirchen schon vor ein paar Jahren gezeigt hat, dass eine kommunale Bordell-Steuer verwaltungstechnisch in den Griff zu kriegen ist.
Not macht erfinderisch: Der Kölner Stadtrat hat soeben eine ‚Bettensteuer’ beschlossen – das Übernachtungsgewerbe wird pro Gast und Nacht mit etwa 3 Euro belastet; bei 4,3 Millionen Übernachtungen pro Jahr hofft die Politik auf über 12 Millionen Euro zusätzliches Geld. Weil Bettensteuer so nach Abkassieren klingt, hat man die neue Steuer „Kulturförderabgabe“ getauft. Das soll betonen, dass die Einnahmen zielgebunden verwendet werden sollen.
Bewährte Instrumente: Hundesteuer, Zweitwohnsitzsteuer
Grundsätzlich gilt: Den Kommunen sind die Hände gebunden: Gebühren müssen kostendeckend sein, Gewinne daraus sind rechtlich untersagt. In Sachen Bettensteuer wäre für Köln allerdings eine Art Lizenzgebühr überlegenswert – weil die Idee schon Nachahmer findet. In Duisburg diskutiert man bereits.
Auch bei klassischen kommunalen Einnahmequellen wird an der Preis-Schraube gedreht: Kaum eine Stadt oder Gemeinde, in der nicht private Dienstleister mittlerweile Hundemarken kontrollieren – frei nach dem GEZ-Motto: „Schon gezahlt?“ Dauercamper oder Studierende mit einer Zweitwohnsitzsteuer zu belegen, gehört seit ein paar Jahren auch in NRW zum Kanon der Haushaltspolitiker, Proteste haben sich längst gelegt. Und bei der Gewerbesteuer herrscht ebenfalls, Krise hin oder her, die Ansicht, dass immer noch ein paar Prozent mehr zu holen sind. Solange die Kommunen noch von Gewerbesteuer profitieren können; die FDP will die Steuer ja abschaffen.
Doch es gibt auch Tabus. Stefan Bajohr, bis Anfang vergangenen Jahres Sparberater („Mentor“) der Stadt Hagen hat kurz vor seinem Abgang mit dem Vorschlag für bundesweites Aufsehen gesorgt, die Grundsteuer B für Grundeigentümer von 495 Prozentpunkten auf rekordtaugliche 1264 zu erhöhen. Die Idee - eine von Dutzenden in zwei „Sparpaketen“ - kam nicht durch; Experten hatten sie ohnehin nur als Symbol gewertet, wie tief der Haushalts-Karren in Hagen und andernorts tatsächlich im Dreck ist.
Protz, Fehlplanung und Kostenexplosionen
Tabus gibt es aber auch an anderen Ebenen: Nach wie vor gelingt es etwa dem Bund der Steuerzahler, in jedem Jahr genug Beispiele von Verschwendung zu finden. Protz, Fehlplanung und Kostenexplosion sind in den Verwaltungen längst noch nicht Vergangenheit – frei nach dem Prinzip „Hauptsache Geld ausgeben“ werden mitunter Millionen von Euro verschleudert. Ein weiterer Aspekt: Politiker wollen sich vielerorts nach wie vor in Prestigeprojekten verwirklichen und meinen, das den Wählern auch schuldig zu sein. Die Stadt Essen zum Beispiel mag ein neues Fußballstadion dringend brauchen - aber sie kann es sich definitiv nicht leisten.
Dazu ist dann bei Institutionen wie der KGSt, der Kommunalen Stelle für Vereinfachungsmanagement, einer in Köln sitzenden Unternehmensberatung für Kommunen, zu erfahren, dass Verwaltungen zwar mittlerweile nach kaufmännischem Rechnungswesen arbeiten, aber die Suche nach „Synergien“ – und die dürfte es unter 396 Städten und Gemeinden sicher geben – nach Einschätzung von Experten so gut wie brach liegt. Ein Beispiel: So leisten sich kreisangehörige Städte nach wie vor eine eigene Bauverwaltung oder Personalabteilungen. Das aber könnte auch eine Kreisverwaltung zentral und wahrscheinlich billiger regeln.
Und die Bürger? Haben kaum eine Chance der anbrechenden Schröpf-Orgie zu entgehen, ob bei Kindergarten- oder Friedhofsgebühren, Geschwindigkeitskontrollen oder „Parkraumbewirtschaftung“. Die Strategie der Kommunen ist schlicht: Freiräume werden geschlossen, das öffentliche Leben zunehmend reglementiert. Oberhausen kündigt zwei weitere Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen an – freilich an „Unfallschwerpunkten“, wie die Stadt betont. Und die „Parkraumbewirtschaftung“ wird ausgeweitet, heißt: Es gibt mehr kostenpflichtige Parkzonen.
Noch eine Idee, auf die offenbar bis dato tatsächlich noch niemand gekommen war: Das Immobilienmanagement der Stadt Duisburg möchte auf den Schulparkplätzen künftig Parkgebühren erheben. Bei 4500 Lehrern an Duisburger Schulen kämen rein rechnerisch über eine Million Euro im Jahr zusammen. Besser als nichts, mag man meinen. Aber letztlich ist auch das eine untergehende Zahl auf den kommunalen Kontoauszügen: Die Stadt hängt nach Auskunft des NRW-Innenministeriums mit 1,5 Milliarden Euro im Dispo – höher sind die kommunalen Kassenkredite nur in Essen.