Berlin. Die Bahn-Datenaffäre zieht immer weitere Kreise. Die Deutsche Bahn soll nach Agentur-Informationen Journalisten und Wissenschaftler sowie ausgehende Mails von Mitarbeitern überprüft haben. Der Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn hatte das bislang immer abgestritten.
Die Deutsche Bahn hat Mitarbeiter noch weitaus umfangreicher und massiver überwacht als bisher bekannt. Nach Informationen der Nachrichtenagentur ddp trugen Ermittler am Freitag in Vorgesprächen zur Aufsichtsratssitzung der Deutschen Bahn in Anwesenheit von Verkehrsstaatssekretär Achim Großmann entsprechende Vorwürfe vor.
Demnach seien auch Journalisten und Wissenschaftler von dem Staatskonzern ausgespäht worden. So seien permanent sowohl ein- als auch ausgehende Mails von Mitarbeitern abgefischt, geöffnet und der Inhalt ausgewertet worden. In der Berliner Zentrale kursierte eine Liste mit Namen von Journalisten, Wissenschaftlern und weiteren Personen, deren in den Bahnkonzern einlaufende Mails vom Frühjahr des Jahres 2005 an ausgespäht wurden.
Der Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn hatte bisher stets behauptet, der Vorstand habe keine fragwürdigen Überwachungsaufträge erteilt, Journalisten seien nicht bespitzelt worden. Die Bahngewerkschaften Transnet und GDBA hatten ihre Unterstützung für Mehdorn von der Richtigkeit dieser Aussagen abhängig gemacht.
Bericht zur Bahn-Spitzelaffäre
Begleitet von neuen Spitzelvorwürfen hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG am Freitag den ersten Zwischenbericht zur Datenaffäre erhalten. Die Sonderermittler Herta Däubler-Gmelin und Gerhart Baum sowie die Wirtschaftsprüfer von KPMG legten dem Kontrollgremium erste Erkenntnisse zu den seit 1998 durchgeführten heimlichen Datenabgleich-Aktionen Zehntausender Mitarbeiter vor. Der Berliner Datenschutzbeauftragte, der ebenfalls deswegen ermittelt, kündigte für Ende kommender Woche seinerseits einen Bericht an.
Die Lokführergewerkschaft GDL verdächtigte die Unternehmensführung der Bespitzelung. Während des großen Tarifstreits der Lokführer vor anderthalb Jahren sei auffällig gewesen, wie genau die Bahnspitze über «Strategien, Streikaktionen und Terminpläne informiert war», erklärte ihr Vorsitzender Claus Weselsky der «Frankfurter Rundschau» zufolge. «Wenn sich herausstellt, dass es weitere Überwachungen von Mitarbeitern gegeben hat, müsste Bahnchef Hartmut Mehdorn entlassen werden», sagte Weselsky.
Zur Rolle Mehdorns sagte Weselsky weiter, an den Schnüffelaktionen sei die Konzernrevision maßgeblich beteiligt gewesen. Dieser Bereich sei Mehdorn direkt unterstellt. Ein Konzernchef habe die Verantwortung für solche Vorgänge zu übernehmen.
Nach einem Bericht des «Handelsblatts», das sich auf «unternehmensnahe Kreise» berief, haben die Untersuchungen der KPMG und der Exminister Däubler-Gmelin und Baum keinen Anhaltspunkt für strafrechtlich relevantes Verhalten Mehdorns ergeben.
Auch Unternehmensergebnis beraten
Der Aufsichtsrat berät außerdem über das Jahresergebnis 2008, das die Bahn am kommenden Montag in Berlin vorstellen will. Unbestätigten Informationen zufolge hat das Unternehmen zwar Gewinne gemacht, aber die gesteckten Ziele wegen der Wirtschaftskrise im zweiten Halbjahr verfehlt. Deshalb ist nach Informationen der «Bild»-Zeitung Mehdorns Gehalt um fast ein Drittel von 2,98 Millionen Euro in 2007 auf 1,94 Millionen Euro gesunken. Auch insgesamt sind den Angaben zufolge die Bezüge des achtköpfigen Bahn-Vorstands 2008 um rund 30 Prozent von 14,2 Millionen in 2007 auf rund 9,6 Millionen Euro gesunken. (ap/ddp)