Frankfurt/Main. .

Nicht nur die katholische Kirche steht jetzt wegen Missbrauchsfällen am Pranger. Ein neuer Bericht enthüllt eine Missbrauchs-Serie an einer hessischen Eliteschule mit bis zu 100 Opfern. Auch Richard von Weizsäcker vertraute seinen Sohn dieser Schule an.

Im Zuge der Aufdeckung von sexuellem Missbrauch an Schülern steht jetzt auch eine Privatschule für Reformpädagogik in Hessen im Mittelpunkt eines Skandals: Bisher war nur bekannt, dass zwei frühere Schüler den damaligen Schulleiter beschuldigt hatten und dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren lief. Jetzt jedoch räumt die Schule ein größeres Ausmaß von Missbrauchsfällen ein, bei denen es auch mehr Täter gab. Exschüler berichteten der „Frankfurter Rundschau“, dass es 50 bis 100 Opfer gegeben habe.

In einer im Internet veröffentlichten Erklärung der Odenwaldschule in Ober-Hambach heißt es: „Durch Aussagen mutiger ehemaliger Schüler unserer Schule müssen wir heute erkennen, dass weitere Kinder und Jugendliche in den Jahren von 1970 bis 1985 Opfer sexueller Übergriffe nicht nur durch den damaligen Leiter der Odenwaldschule geworden sind.“

Die Schule spricht den Opfern ihre Solidarität aus und entschuldigt sich als Institution für das Unrecht. „Ihr Mut ist uns heute bedingungslose Verpflichtung, das Geschehene aufzuarbeiten und uns unserer Geschichte zu stellen.“ Die Schule sei durch die Berichte der Opfer und das Ausmaß der Verbrechen massiv erschüttert und irritiert.

UNESCO-Modellschule

Die Einrichtung war 1963 zur UNESCO-Modellschule für Reformpädagogik ernannt worden. Zu den ehemaligen Schülern gehören namhafte Persönlichkeiten wie der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit oder ein Sohn des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Erste Vorwürfe gegen den langjährigen Rektor, der von 1971 bis 1985 im Amt war, waren vor gut zehn Jahren publik geworden. Ex-Schüler berichteten von massiven Übergriffen des Schulleiters gegen 13-Jährige.

Die Vorwürfe seien aber nur halbherzig aufgegriffen worden, berichtet die „Frankfurter Rundschau“. Das räumt die heutige Schulleiterin Margarita Kaufmann in dem Blatt auch ein: „Es war eine Unterlassung und ein grober Fehler, dass die Schule damals nicht nachgeforscht hat.“

Ehemalige Schüler berichteten der Zeitung davon, wie sie von Lehrern regelmäßig durch das Streicheln der Genitalien geweckt, wie sie als „sexuelle Dienstleister“ für ganze Wochenenden eingeteilt und zu Oralverkehr gezwungen wurden. Einzelne Pädagogen hätten ihren Gästen Schüler zum sexuellen Missbrauch überlassen. Lehrkräfte hätten Schutzbefohlene geschlagen, mit Drogen und Alkohol versorgt oder beim gemeinschaftlichen Missbrauch eines Mädchens nicht eingegriffen.

Bis zu 100 Missbrauchsopfer

Die Schulleiterin sagte, sie selbst sei im vergangenen Jahr erneut von ehemaligen Schülern angesprochen worden, die fürchteten, die Schule werde sich auch bei der 100-Jahr-Feier im April 2010 wieder ihrer Verantwortung entziehen. Daraufhin habe sie etliche Gespräche mit Ex-Schülern geführt und dabei erst „das wahre Ausmaß“ des Skandals erahnt. Kaufmann geht von mindestens drei Lehrern aus, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben sollen. Von Zeugen habe sie „die Namen von 20 Opfern gehört“. Laut „Frankfurter Rundschau“ gehen die Betroffenen von 50 bis 100 Missbrauchsopfern aus.

Die Schule hat nach eigenen Angaben durch zwei ehemalige Schüler erstmals 1998 Kenntnis von sexuellem Missbrauch erlangt, den der damalige Schulleiter in den 1980er Jahren begangen hatte. Dieser habe sich bis heute nicht zu den Vorwürfen geäußert, in Konsequenz aber sämtliche Ämter im Zusammenhang mit der Odenwaldschule niedergelegt. „Der Versuch der rechtlichen Klärung führte nach einer Strafanzeige eines der betroffenen Schüler zu der staatsanwaltlichen Feststellung der juristischen Verjährung der Straftaten.“ (apn)