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In der dunklen Jahreszeit klagen viele Menschen über schlechte Laune und Müdigkeit. Ein Grund könnte der Winterblues sein - eine Befindlichkeitsstörung, die zwischen November und März auftritt. Über den Unterschied zur schweren Krankheit Depression sprach DerWesten mit einem Experten.

Drei Monate nach dem Freitod von Robert Enke ist das Thema Krankheit Depression weitestgehend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Über die Gründe sowie den Unterschied einer Depression und dem so genannten Winterblues sprach DerWesten mit dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Hermann Josef Paulus von den Oberbergkliniken im Weserbergland.

Herr Dr. Paulus, drei Monate ist es her, dass der Krankheit „Depression“ durch den Suizid des Fußballnationaltorhüters Robert Enke große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gewidmet wurde. Es wurde mehr Verständnis und Offenheit im Umgang mit der Krankheit gefordert. Wie ist der heutige Stand?

Dr. Hermann Josef Paulus (58): „Das war ein kleines Strohfeuer. Die Bevölkerung ist wieder zur Normalität übergegangen. Durch die Schnelllebigkeit der Medien ist das Thema wieder aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden. Dabei bekommen je nach Studie 16 bis 20 Prozent der Menschen mindestens einmal im Leben eine Depression.“

Wie gefährlich ist die Krankheit?

Dr. Paulus: „Sie wird häufig unterschätzt, da sie auch lebensgefährlich sein kann – etwa wenn Suizid-Gedanken wie bei Robert Enke auftreten. Eine Depression ist allerdings auch gut behandelbar.“

In dieser Jahreszeit ist des Öfteren vom Winterblues die Rede - was ist damit gemeint?

Dr. Paulus: „Beim Winterblues handelt es sich um Befindlichkeitsstörungen, die von November bis März auftreten. Erst sind die Menschen zu Beginn des Winters empfindlich, weil es ihnen nicht kalt genug ist. Dann sehnen sie sich nach 20 Grad und Sonne. Aber zwischen Winterblues und einer Winterdepression (saisonal abhängige Depression) besteht ein großer Unterschied. Depression ist eine schwere Erkrankung. Wer mal ein bis zwei Tage schlechte Laune hat, hat nicht gleich eine Depression. Um eine Winterdepression handelt es sich allerdings nur in einem Prozent der Fälle.“

Wie wird die Winterdepression behandelt?

Dr. Paulus: „Patienten reagieren sehr gut auf eine Lichttherapie. Dazu ist ein spezielles Licht mit mindestens 10000 Lux nötig. Der Patient setzt sich in einem Abstand von 80 bis 100 Zentimetern vor das Licht, kann dabei lesen und muss nur einmal in der Minute kurz direkt in das Licht schauen.“

Woran erkennt man eine klassische Depression?

Dr. Paulus: „Depressive Symptome müssen mindestens zwei Wochen am Stück anhalten. Es gibt verschiedene Grundsymptome wie bedrückte Stimmung, Interesse- und Freudeverlust an Hobbys, Arbeit oder Partnerschaft. Dazu können fehlender Antrieb und steigende Müdigkeit kommen. Zusatzsymptome sind der Verlust des Selbstvertrauens, Suizidgedanken, Appetitlosigkeit oder großer Hunger, Unentschlossenheit, Unruhe oder Hemmung.“

Wie gehen die Menschen mit der Krankheit um?

Dr. Paulus: Viele Menschen verleugnen die Depression wegen der damit verbundenen Stigmatisierung. Häufig wird dann von einem Burnout-Syndrom gesprochen, weil dies gesellschaftlich akzeptiert ist. Von einer Depression wollen sie nichts wissen, denn das verstehen viele als ein Zeichen von fehlender Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit. Fragt man aber näher nach, stellt sich dann häufig heraus, dass es sich doch um eine Depression handelt.“

Welche Bevölkerungsgruppen sind häufig betroffen?

Dr. Paulus: „Vor allem Lehrer sind sehr gestresst und manchmal wirklich zu bedauern. Sie sollen nicht nur lehren, sondern auch erziehen. Und sobald sie das konsequent machen, drohen manche Eltern mit dem Rechtsanwalt. Bei den Lehrern trifft es vor allem die sehr Engagierten.“

Worin liegen die Ursachen für eine Depression?

Dr. Paulus: „Es muss nicht immer der Beruf sein. Es gibt auch Menschen mit empfindlichen Genen – da reichen schon kleinere Ereignisse für einen Ausbruch. Allerdings sind auch immer mehr Menschen in ihrem Job überfordert. Die Auseinandersetzung mit neuen Technologien und der drohende Verlust des Arbeitsplatzes setzen die Menschen stark unter Druck.

Zudem fehlt im Umfeld oft die Akzeptanz für die Erkrankung. Allerdings liegen die Gründe für eine Depression häufig auch im privaten Bereich. In Gesprächen stellen sich oft massive Probleme in der Partnerschaft heraus. Diese angespannte Situation projizieren die Betroffenen auf den Arbeitsplatz, wo ihre Leistung durch die privaten Streitereien nachgelassen hat und suchen dort die Gründe.“

Was hat die Krankheit für Folgen?

Dr. Paulus: „Patienten versuchen sich manchmal über den Alkohol selbst zu helfen. Dabei werden die Symptome dadurch erst noch verstärkt. Bevor die Behandlung beginnt, müssen wir sie erst einmal aus der Sucht wieder herausholen. Auch bekommen Patienten zu Beginn von manchen Hausärzten Beruhigungsmittel verschrieben, was die Suchtgefahr verstärkt.“

Was ist der erste Schritt zur Besserung?

Dr. Paulus: „Die Patienten müssen anfangen sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Als erstes bekommen sie einen Termin von mir mit drei Buchstaben: I – C – H. Viele sind so blockiert, dass sie das im ersten Moment gar nicht verstehen. Doch sie müssen erst einmal aus dem Alltagsstress herauskommen. Viele nutzen ja noch nicht mal Reisen zur Entspannung. Stattdessen wird alles konsumiert, was möglich ist. Und am Ende kehren sie völlig erschöpft aus ihrem Urlaub zurück.“

Wie verläuft die Behandlung weiter?

Dr. Paulus: „In der Psychotherapie gehen wir die persönlichen Probleme an. Offenheit ist am wichtigsten – sie ist der Feind jeder Krankheit. Dann wird der Blick für die Lebensqualität geschärft. Menschen brauchen einen vernünftigen Ausgleich zwischen Beruf und Privatleben.“