Berlin.

Das Gezerre um die Steuersünder-CD befeuert derzeit antideutsche Befindlichkeiten. Doch auch abseits der aktuellen Debatte tun sich die Schweizer schwer mit dem nördlichen Nachbarn: Deutsche Einwanderer sind im Alpenland wenig beliebt - was Migrationsforscher verwundert.

Sie sind Nachbarn, sie sprechen so ähnlich wie wir, und sie stillen unsere Sehnsucht nach bürgerlicher Idylle. Man müsste sie gern haben, die Schweizer. Dumm nur, dass immer weniger Schweizer die Deutschen mögen. Sie haben sogar Angst vor uns. „Germanophobie” heißt das im Fachjargon. Übersetzt: Hilfe, die Deutschen kommen!

Unterkühltes Verhältnis seit einem halben Jahrtausend

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Nie schallte dieser Ruf so laut über die Alpengipfel wie in diesen Wochen der diplomatischen Verirrungen. Da wird die Bundesregierung zum „Hehler“; da hängen Liberale in der Schweiz Fahndungsplakate auf, die Angela Merkel und Wolfgang Schäuble als „Bankräuber“ zeigen; da will die rechtskonservative Schweizer Volkspartei sogar die Bankgeschäfte deutscher Politiker öffentlich machen. Schäuble, der Finanzminister und Steuerschützer, übrigens nahe der Schweizer Grenze geboren, unterstreicht inzwischen bei jeder Gelegenheit seine Liebe zur Alpenrepublik. Nur in der Sache bleibt er hart. Tatsächlich sind die Nickeligkeiten viel älter als der Streit um die Steuer-CD. Uralt sogar. Schon seit den Schwabenkriegen vor 500 Jahren gilt das Verhältnis als leicht unterkühlt.

Marc Helbling hat sich wissenschaftlich mit der Furcht vor dem Nachbarn beschäftigt. Helbling ist Schweizer. Und er arbeitet mitten unter Deutschen, im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin. Das, was er herausgefunden hat, schmeichelt uns nicht. Die Deutschen nehmen aktuell in der Rangliste der unbeliebtesten Ausländer Platz 4 ein: nach Einwanderern aus Ex-Jugoslawien, Arabien und der Türkei.

Arrogant und laut?

Die Germanophobie, hat Helbling herausgefunden, stellt zwei Thesen in der Migrationsforschung auf den Kopf. Bisher gingen die Experten davon aus, dass meist Migranten angefeindet werden, die aus anderen Kulturen stammen. Außerdem galt die Annahme: Je gebildeter der Mensch, desto fremdenfreundlicher ist er. Nicht so in diesem Fall. Die kulturell verwandten Deutschen sind einigen Eidgenossen offenbar so fremd, als kämen sie von einem anderen Stern. Und sogar gebildete Schweizer pflegen die Germanen-Angst.

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Woran liegt es? „Deutsche werden als Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt angesehen”, so Helbling. In Zürich stellen die Deutschen die größte Einwanderer-Gruppe: 26 000 von 330 000 Einwohnern. Aber es gibt noch einen zweiten Grund: „Deutsche erscheinen vielen als kulturelle Gefahr”, erklärt Helbling. Nicht erst seit Peer Steinbrücks Drohung mit der „Kavallerie“ kursiert das Bild des arroganten und lauten Deutschen.

Einseitige Abneigung

Helbling: „Etwas überspitzt sieht das so aus: Ein Deutscher geht in eine Kneipe und sagt : ,Ich kriege ein Bier’. Der Schweizer liebt es höflicher: ,Wären Sie vielleicht so freundlich, mir, wenn Sie Zeit haben, ein kleines Bier zu bringen.’” Überhaupt scheine die gemeinsame Sprache eher zur Sprachlosigkeit beizutragen: „Mancher Schweizer hat einen Minderwertigkeitskomplex, weil er eben nicht so eloquent Hochdeutsch reden kann wie die Deutschen.”

Die Mauern in den Köpfen scheinen ähnlich schwer aufzubrechen zu sein wie das Bankgeheimnis. Aber es gibt Hoffnung: Marc Helbling hat in Berlin nie unter einer Phobie gegenüber Schweizern gelitten. Außerdem sei die Germanophobie nur ein Phänomen in der deutschsprachigen Schweiz. „Vielleicht löst sich das Problem mit der Zeit”, meint Helbling. „In den 50-er Jahren waren die italienischen Einwanderer in der Schweiz besonders unbeliebt. Heute mögen wir die Italiener.”

Diskussion: Braucht der Mensch ein Feindbild?