Bochum. .
Es war schon vor Jahren totgesagt worden, jetzt schöpfen die Macher von Cargocap, dem Güter-Transportsystem unter Tage, neuen Mut. Auf einer Tagung am Freitag kündigten sie an: „Wir sind praxisreif“ - nur ob die Praxis reif für Cargocap ist, steht noch in den Sternen.
Rückschläge ist Dietrich Stein, emeritierter Leitungsbau-Professor der Ruhruni Bochum, gewohnt: Gerne hätte der 71-jährige Erfinder der „Cargocap“-Idee erstmals ein Modell einer der Transportkapseln präsentiert, die in - noch sehr fern klingender - Zukunft mal den Warenverkehr im Ruhrgebiet revolutionieren könnten. Doch zu der Tagung „Cargocap - die Logistiklösung zum Klima- und Gesundheitsschutz im Ballungsraum“ in der Nähe der Bochumer Ruhruni, war keine Kapsel angeliefert worden. Ein Helfer informierte Stein: „Der Lastwagen springt nicht an.“
Mehr Mut machte Stein da NRW-Verkehrsminister Lutz Lienenkämpfer (CDU). „Wir brauchen neue Lösungen für die Transportprobleme von morgen“, sagte der Minister, den Stein als Schirmherrn der Tagung gewinnen konnte. 74 Prozent der Güter im Ruhrgebiet würden heute auf der Straße transportiert. Insgesamt soll sich der Anteil bundesweit, Prognosen zufolge, bis 2020 fast verdoppeln. Innovationen könnte man da in NRW sehr gut gebrauchen, meinte Lienenkämper - und „Cargocap ist eine Innovation, die es wert ist, fortgeführt zu werden“. Auf die Frage, ob das Land NRW denn auch bereit sei, für eine Pilotstrecke, auf die die Cargocap-Initiatoren nun drängen, Geld zu geben, antwortete der Minister jedoch in bei Politikern überraschender Klarheit: „Nee, keine Chance.“
Bessere Luft, kein Lärm
So präsentierte Stein am Freitag viele Zahlen, die Investoren neugierig machen sollen. Mit Tempo 36 sollen die Güter per unterirdischer Frachtkapsel computergesteuert ihr Ziel erreichen - ohne Staus und rote Ampeln. Zum Vergleich: Ein Lastwagen im Ballungsraum zwischen Ruhr und Emscher kommt durchschnittlich mit lahmen 16 Stundenkilometern voran.
Im Belieferungsverkehr zwischen Warenlagern oder im Werksverkehr etwa der Automobilindustrie hätte Cargocap Vorteile gegenüber bestehenden Systemen. Ein entscheidendes Plus betrifft auch die Politik, hebt Stein hervor: „Sie haben praktisch kein Konfliktpotential“. Cargocaps erzeugen keinen Feinstaub und auch kein CO² - jedenfalls nicht direkt. Und sie machen keinen Lärm.
Letztlich überzeugen soll einen Machbarkeitsstudie, die die Cargocap-Initiatoren am Freitag erstmals präsentierten. Die Investitionen sind enorm - „aber lohnend
“, so das Fazit. 800 Millionen Euro bis eine Milliarde Euro würde eine Frachtkapsel-Strecke zwischen Duisburg und Dortmund mit 24 unterirdischen Verladestellen auf 85 Kilometern Strecke kosten; utopisch in Wirtschaftskrisen-Zeiten. Wenn dann 15 Prozent der in diesem Bereich verschickten Waren mit Cargocaps transportiert würden, hätten sich die Kosten - bei bestimmten Grundannahmen in Sachen Preisentwicklung und Kreditmarkt - nach 14 Jahren amortisiert. Eine Röhre mit zwei Fahrsträngen würde 6,4 Millionen Euro kosten. Zum Vergleich: „Ein Kilometer Autobahn kostet 30 Millionen Euro“, sagt Stein.
„Eine revolutionäre Idee“
Seit zwölf Jahren ist Stein Feuer und Flamme für die Idee, Warenströme unter die Erde zu leiten. Anfangs hatte er eine Art übergroßer Rohrpost im Blick. Daraus ist ein schienengebundenes, automatisches und sich selbst steuerndes Fahrkabinen-Konzept geworden, das in unterirdisch vorgetriebenen Betonröhren den Fracht-Verkehr im Ballungsraum um eine fünfte Dimension ergänzt. Ausgelegt auf den Transport von jeweils zwei Euro-Paletten mit bis zu 1,5 Tonnen Gesamtgewicht. Seit drei Jahren wird in einer ausgedienten Turbinenhalle eines Bochumer RWE-Kraftwerks an der Fahrtechnik gefeilt: „Wir sind reif für die Praxis“, erklärte Stein am Freitag stolz. Allerdings gibt es noch viele Indizien, dass die Praxis noch nicht reif für Cargocap ist.
Von 33 im Ruhrgebiet ansässigen ‘Top’-Logistikkonzernen Deutschlands mochte niemand der Einladung nach Bochunm folgen. Und auch beim jüngst mit 106 Millionen Euro von Land und Bund gestarteten „Effizienzcluster Logistik Ruhr“ - eine Art Innovationsprogramm im Transportwesen - spielt Cargocap keine Rolle, stellte Stein verbittert fest: „Dabei ist das System doch die Zukunft“.
Für Klaus Krumme, Geschäftsführer des Zentrums für Logistik und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen ist Cargocap „eine revolutionäre Idee“ - deren Zeit aber noch nicht gekommen ist. Das Konzept mag technisch schon einsatzbereit sein, „aber man muss es auch kulturell verankern“, meint Krumme. Denn der Warenverkehr funktioniert noch und rechnet sich - auf der Straße, auf der Schiene, zu Wasser und in der Luft.
Straßen-Kapazität ist begrenzt
Dass die Zeit für ein unterirdisches System aber kommen könnte, will Krumme nicht ausschließen, weil der Warenverkehr zunehmen wird: „Sie können die Autobahnen hier nicht auf zehn Spuren ausbauen.“ Letzlich müssten die Unternehmen „verstehen, welchen Vorteil Cargocap ihnen bietet.“ Und da seien noch viele Fragen zu klären, sagt Krumme: „Zum Beispiel die Einbindung in bisherige Logistik-Konzepte.“
Prof. Dietrich Stein machte die Tagung am Freitag jedenfalls mehr Mut als Frust: Ungefähr 80 Teilnehmer von Deutscher Post, IHKs, Hochschulen, Lokalpolitik, bis zu verschiedenen Unternehmen aus den Bereichen Fördertechnik, Leitungs- und Maschinenbau interessierten sich für den Stand des Cargocap-Projekts. Stein selbst gab sich kämpferisch: Er nehme sich den Berliner Mediziner Rudolf Virchow zum Vorbild, ein Vorkämpfer des Hygieneschutzes, erklärte Stein: „Virchow hat im 19. Jahrhundert 25 Jahre lang dafür gekämpft, dass in Berlin endlich eine Kanalisation eingeführt wird.“