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Wer gedacht hat, das Geschlechtergefälle sei weitgehend aufgehoben, der täuscht sich nach Ansicht der neuen Emanzipations-Ministerin. Barbara Steffens sieht vor allem im Gesundheitsbereich Defizite.

Während der Koalitionsverhandlungen hat sie Kindersocken gestrickt. Im Urlaub schnitzt sie gerne Schmuckstücke aus Holz. „ Ich brauche dieses Ausleben von Kreativität, um im Kopf neue Freiräume zu schaffen.” Als neue NRW-Ministerin für Gesundheit, Emazipation, Pflege und Alter will Barbara Steffens (48, Grüne)) eine Menge bewegen, erzählt Sie im Interview.


Mit einem „Männermanifest“ haben Spitzenpolitiker Ihrer Partei neulich einen Hilferuf abgesetzt. Sie wollen nicht länger Machos sein müssen. Sie wollen leben anstatt Helden der Arbeit zu sein. Wird die neue Emanzipazionsministerin Männern dabei helfen, ihre Rolle neu zu definieren?


Barbara Steffens: Die Umsetzung eines Männermanifests müsste eigentlich eine Männerminister machen, aber da haben wir gerade keinen.


Emanzipation beziehen Sie ausschließlich auf Frauen?


Steffens: Nein, überhaupt nicht. Auch Lesben und Schwule gehören dazu. Und natürlich müssen wir gucken, was mit den Männern von morgen ist. Die klassische Sozialisation vom Mann als alleiniger Ernährer der Familie gibt es ja nicht mehr, deshalb ist für Jungs wichtig, eine neue Orientierung zu bekommen.

Der „Genderblick“ auf die Gesundheit


Die erwachsenen Männer haben Sie bereits abgeschrieben?


Steffens: Quatsch. Durch die Frauenbewegung hat es über Jahrzehnte die Diskussion über Frauen gegeben. Da finde ich gut, wenn jetzt aus dem Kreis der Männer heraus eine neue Debatte beginnt, die sagt, wir wollen eine neue Rolle. Dass Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, nicht als Softies oder Weicheier abgestempelt werden und ein Mann am Arbeitsplatz genauso selbstverständlich sagen kann „Mein Kind ist krank, ich muss jetzt mal weg“. Ich will als Ministerin gerne helfen, die Diskussion zu fördern. Aber wir müssen in NRW auch wieder Frauenpolitik machen, da ist unter der alten Regierung fast nichts gelaufen.


Was meinen Sie konkret?


Steffens: Zum Beispiel: Hilfe beim Wiedereinstieg in den Beruf oder bei Existenzgründungen. Das alles fällt ebenso unter das Thema Emanzipation. Ich bin aber auch für Gesundheitspolitik zuständig. Ein Bereich, in dem Geschlechterunterschiede ganz wichtig sind.


Wo sehen Sie dort gravierende Unterschiede zwischen Mann und Frau?


Steffens: Frauen werden anders krank als Männer. Deshalb brauchen wir auch bei der Gesundheit einen Genderblick. Ich will, dass man sich bei allen Maßnahmen im Gesundheitswesen klarmacht, welche Auswirkungen das auf Männer, welche auf Frauen hat. Wir hatten beispielsweise lange das Problem, dass Medikamente bei Frauen gar nicht oder anders wirkten, weil sie vorher ausschließlich an Männern getestet worden waren.


Kann eine Landesgesundheitsministerin das System so grundlegend beeinflussen?


Steffens: Es muss im Gesundheitsbereich ein Umdenken geben, nicht nur bezogen auf die unterschiedlichen Geschlechter, auch vor dem Hintergrund des demographischen Wandels. An vielen Stellen im Gesundheitssystem werden alte Menschen derzeit nicht gut versorgt.


Zum Beispiel wo?


Steffens: Ein alleinstehender älterer Mensch, der ins Krankenhaus kommt, steht manchmal schon hilflos an der Aufnahme, weil ihm niemand hilft. Hat er es dann bis auf sein Zimmer geschafft, kann er noch nicht mal seine Kinder anrufen, weil das Telefon so kompliziert ist, dass man vorher irgendwelche Codes in die Fernbedienung eingeben muss und man damit gleichzeitig die Schwester rufen und den Fernseher bedienen kann. Ein alter Mensch ist damit überfordert. Dass er, wenn er medizinisch geheilt entlassen wird, anschließend desorientierter und hilfloser aus dem Krankenhaus herauskommt, darf in Zukunft nicht mehr vorkommen.

Sparen an der Menschlichkeit produziert Mehrkosten


Liegt es nicht am Kostendruck, dass im Gesundheitswesen oft die Menschlichkeit hinten runterfällt?


Steffens: Das ist ja gerade der Irrsinn. Ich bin sicher, ein menschliches Gesundheitssystem ist viel preiswerter als ein unmenschliches. Auch hier wieder ein praktisches Beispiel: Ein Krankenhaus, das keine eigene Küche mehr hat, kann einem Patienten, der das gelieferte Essen nicht essen kann, keine Alternative bieten. Da wurde Menschlichkeit eingespart, die am Ende Mehrkosten verursacht. Der Patient würde nämlich schneller gesund, wenn man auf seine individuellen Bedürfnisse eingehen würde.


Klingt nach Herkulesaufgabe.


Steffens: Man muss das Ziel vor Augen haben und so viele Schritte gehen, wie man schafft. Jeder Schritt, mit dem man einer menschenfreundlicheren Gesellschaft näher kommt, ist ein Riesenschritt. Ich mache ja keinem Krankenhaus einen Vorwurf, dass es so geworden ist. Aber wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir gemeinsam umkehren müssen. Ich möchte einen „Modellversuch menschliches Krankenhaus“ starten und auch einen „Modellversuch menschliche Praxis“.


Was läuft bei niedergelassenen Ärzten falsch?


Steffens: Wir bekommen immer wieder vorgehalten, in NRW gebe es zu viele Patienten-Arzt-Kontakte. Das liegt beispielsweise daran, dass eine große Gruppe chronisch Kranker mittlerweile für ihre Medikamente keine Jahresrezepte mehr bekommt, sondern unter großen Mühen viel häufiger zum Arzt laufen muss. Das ist nicht Schuld der Ärzte, aber eine vom System produzierte menschenfeindliche patientenunfreundliche Regelung. Dann kriege ich immer wieder mit, dass ältere Menschen nach einem Besuch beim Arzt klagen: „Ich weiß gar nicht, was der mir gesagt hat.“ Wenn man aufgeregt ist und nur fachchinesisch hört, ist das kein Wunder. Viele ältere Menschen trauen sich aber nicht, noch mal reinzugehen und genau nachzufragen, sondern gehen lieber noch mal zu einem anderen Arzt. Warum kann der Arzt seinem Patienten nicht in einfachen Worten aufschreiben lassen, was los ist? Dann kann er nachher auch noch mal mit seinem Sohn oder seinem Nachbarn darüber reden. Dieses kleine bisschen mehr Menschlichkeit würde dem Gesundheitssystem viel Geld sparen.