Berlin. .
Wechsel im Schloss Bellevue: Der Neue, Christian Wulff, macht die Integration zu seinem Thema. Der Alte, Horst Köhler, genießt noch einmal Beifall.
Am Ende wird er umringt von Sozialdemokraten. Sigmar Gabriel gehört zu den ersten Gratulanten des Präsidenten. Das hat etwas Versöhnliches. Gabriel und Christian Wulff haben eine Vorgeschichte. Sie waren einmal Konkurrenten in Niedersachsen. Nun stehen sie zusammen. Der SPD-Chef signalisiert: Er ist auch unser Präsident. Das politische Berlin ist ermattet. Zu aufreibend waren die letzten Wochen. Zu übermächtig ist das Bedürfnis, nach dem Wettstreit um Schloss Bellevue einen Schlussstrich zu ziehen. Nun ist mal gut! Zumal nach so einer Einstandsrede.
Von Hans-Christian Ströbele, der mit verschränkten Armen Wulffs Vereidigung und Auftritt verfolgt, weicht die Anspannung. Der Grüne klatscht Beifall, weil der Präsident die Integration zu seinem Thema macht: „Es ist mir ein wichtiges Anliegen.“ Der bisherige niedersächsische Regierungschef kommt in seiner Rede mehrmals darauf zurück. Er erinnert zum Beispiel an die erste Ministerin muslimischen Glaubens in Deutschland und an die Begegnung mit dem stolzen Vater. Er, Wulff, wünsche sich ein Land, in dem „möglichst alle Eltern dieses Glück empfinden können.“ Er redet, wohlgemerkt, von Integration durch Aufstieg und von Chancengerechtigkeit.
Gleiche Noten, ungleiche Chancen
Wann es wohl selbstverständlich sein werde, fragt Wulff, „dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei der Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz oder Krause heißt?“ Das gleiche Signal hatte Johannes Rau gesetzt, sein Vorvorgänger.
Noch im Oktober will Wulff in die Türkei fliegen. Es wird einer der ersten Staatsbesuche sein. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass er die Integration vorantreiben will, gerade der großen Gruppe der Türken.
Sein eigentliches Leitprojekt ist umfassender. Christian Wulff will Brücken bauen, Verbindungen zwischen den gesellschaftlichen Gruppen schaffen; nicht zuletzt zwischen den Bürgern und der Politik, die „viel besser als ihr Ruf“ sei. Lob verteilt er etwa für die Lösung der Finanzkrise. Als er dafür plädiert, „die Verursacher der Bankenkrise in Haftung zu nehmen“, muss der Altlinke Ströbele schon wieder klatschen. Wulffs Rede ist wie ein Gegenentwurf zur Agenda seines Vorgängers Horst Köhler. Der war mit der erklärten Absicht angetreten, unbequem zu sein - so schied er aus dem Amt aus.
Wulff verhaspelt sich bei der Eidesformel
Nun verfolgt er im Bundestag die Vereidigung Wulffs. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) wie auch der Vertreter des Bundesrats, der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), gehen nur betont kurz auf Köhlers Rücktritt ein. Sie heben lieber seine Leistungen hervor: Die Bürgernähe, sein Herz für Afrika, die Rede in der Knesset. Lammert belässt es bei einer Andeutung: Horst Köhler habe es sich nicht leicht gemacht „und der sogenannten politischen Klasse manchmal auch nicht.“ Am Ende gibt es stehend Beifall von fast allen. Nach kaum einer Stunde ist die Zeremonie zu Ende. Wulff und seine Frau Bettina machen sich auf den Weg zum Schloss, wo sie am Abend ein Sommerfest geben.
Er kann zufrieden sein. Er hat den Ton getroffen, kein großes Thema ausgelassen. Keiner wird verprellt. Fair geht er auf seinen Gegenkandidaten Joachim Gauck („Ihre Stimme hat viele Menschen erreicht“) ein. Fast wäre es ein unheimlich glatter Auftritt geworden. Doch gleich zu Beginn erlaubt sich Wulff einen Patzer.
Er verhaspelt sich, als er aus der Urschrift des Grundgesetzes die Eidesformel spricht, so dass er ein zweites Mal ansetzen muss. Ein dritter Anlauf war am Freitag nicht nötig.