Karlsruhe. .
Die Zukunft der Gentechnik in der Landwirtschaft steht am vor Gericht. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt das Gentechnikgesetz. Es regelt die Vorschriften, die Bauern beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen beachten müssen. Das Land Sachsen-Anhalt will die strengen Vorschriften kippen.
Die Überschrift der Verhandlungsgliederung des Bundesverfassungsgerichts klingt nichtssagend: „Gentechnikgesetz“ lautet sie und bezieht sich auf eine Klage des Landes Sachsen-Anhalt zu Haftungsregelungen und Vorschriften, die Bauern beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu beachten haben. Doch womöglich nimmt Karlsruhe die Verhandlung zum Anlass, sich grundsätzlich zu der umstrittenen Technologie zu äußern. Dafür sprechen zumindest die ersten Gliederungspunkte, die unter anderem „Nutzen und Risiken des Einsatzes gentechnisch veränderter Organismen“ thematisieren.
Dass viele gentechnisch hergestellte Medikamente wie etwa Insulin für Diabetiker inzwischen ein Segen für unzählige Kranke sind, ist unumstritten. Doch auch die Agrarindustrie wie der Saatguthersteller Monsanto verspricht mit gentechnisch veränderten Pflanzen eine schöne neue Welt: Neuartige Sorten von Mais, Soja, Raps oder Baumwolle benötigen weniger Pflanzenschutzmittel, bringen höheren Ertrag und eine geringere Umweltbelastung durch weniger Pestizide, sagen sie.
Allergien und Resistenzen
Kritiker, wie etwa der ökologische Ärztebund, warnen dagegen vor ungewissen gesundheitlichen Auswirkungen wie Allergien, die von Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen verursacht werden können. Überdies könne etwa die Resistenz der Pflanzen gegen Antibiotika auf Bakterien übertragen und damit die Behandlung kranker Menschen schwer beeinträchtigt werden, befürchtet etwa auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace.
Auch wegen solcher Bedenken erließ die damalige rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2004 das Gentechnikgesetz gegen den erbitterten Widerstand von Opposition, Bundesländern und Industrie. Es legt unter anderem fest, wie Gentech-Bauern herkömmlich bestellte Felder in der Nachbarschaft vor Verunreinigungen mit genmanipuliertem Pollen zu schützen haben oder für solche Kontaminationen Schadenersatz leisten müssen. Zudem müssen Felder, auf welchen Gentechnik zum Einsatz kommt, in einem Standortregister eintragen werden.
Vor allem dieses „unkalkulierbare“ Haftungsrisiko und das öffentlich einsehbare Standortregister, das „politisch motivierte Feldzerstörungen“ begünstige, wurden vom damaligen liberalen Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts, Horst Rehberger, scharf angegriffen. Sollte die Klage nun Erfolg haben und müssten Gentech-Bauern keinerlei Sanktionen mehr befürchten, könnten herkömmliche Lebensmittel künftig durch genmanipulierte Pflanzen in großem Stil verunreinigt und diese Kontamination nicht mehr bis zur Quelle zurückverfolgt werden.
Kein Recht auf gentechnische Verunreinigung
Traditionelle Bauern, Öko-Landwirte und Imker wären dann die Dummen und würden auf ihren Schäden sitzenbleiben. Zudem würde die Wahlfreiheit der Verbraucher zwischen manipulierten und gentechnikfreien Produkten massiv eingeschränkt, warnt etwa der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warf der Landesregierung Sachsen-Anhalts vor, mit ihrer Klage die gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in Deutschland zu gefährden. Die Beanstandungen Sachsen-Anhalts seien haltlos. Würde der Klage stattgegeben, hätte die gentechnikfreie Landwirtschaft keine wirksame Handhabe mehr, sich gegen gentechnische Verunreinigungen zu wehren.
Der frühere grüne Europaabgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringsdorf ist allerdings zuversichtlich, dass Karlsruhe die Klage abschmettern wird. Es gebe kein Recht auf gentechnische Verunreinigungen, sagte der Vertreter der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mit Blick auf die Verhandlung am Mittwoch. Zudem sei Gentechnik eine Risikotechnologie wie etwa die Atomkraft und werde bundesweit mehrheitlich abgelehnt. Und in seinen Urteilen nehme Karlsruhe die Stimmungen der Bevölkerung zumeist auch auf. (afp/waz)