An Jürgen Rüttgers’ Einordnung der neuen Düsseldorfer Verhältnisse ist mehr falsch als richtig; abgesehen davon, dass es Hannelore Kraft auch mehr oder weniger gleichgültig sein kann, was ihr demnächstiger Amtsvorgänger so sagt.

Rüttgers’ zornige Kommentare zielen eher nach innen als nach außen, wollen eher von eigenen Fehlern ablenken und ein Comeback vorbereiten. Auf den Punkt bringt es die konservative Welt am Sonntag: „Rüttgers hat die CDU um die Macht gebracht.“

Rüttgers beklagt die Instabilität einer Minderheitsregierung. Der Ausweg wäre in der Tat eine Große Koalition gewesen, nur eben nicht unter seiner Führung. Rüttgers’ größter Fehler: Er verhandelte als Verlierer aus der Sieger-Perspektive. Am Ende spielte Kraft, weniger von SPD-Chef Gabriel, mehr von den Grünen unter Druck gesetzt, ihren Vorteil aus, mehr Optionen zu haben als der Amtsinhaber. Inzwischen räumt die CDU-Führung offen ein, in der Sondierung mit der SPD nicht mit offenen Karten gespielt zu haben. Was soll denn dann das Gekeife?

Grüne und FDP müssen zueinander toleranter werden

Aus Krafts Machtperspektive zählen nur SPD, Grüne und die Bundes-SPD. Und da gibt es keine Abweichler, nicht einmal kritische Kommentare zu ihrem Kurs. Schon dieser Umstand unterscheidet Kraft von Hessens Ypsilanti. Ein anderer kommt hinzu: Ypsilanti war auf alle Linksparteiler angewiesen, Kraft ist es nicht. Sie bringt mit den Grünen Gesetze durch, wenn die Linke nicht mit CDU und FDP dagegen stimmt. Es ist sogar schon ausgerechnet worden, dass Kraft selbst einen Haushalt durchbringen könnte, wenn neun der elf Linken dagegen stimmten und zwei sich enthielten.

Sicher wäre eine klare Mehrheit besser, aber die Wähler haben sich nun einmal für ein Fünf-Parteien-System entschieden. Solange darin FDP und Grüne nicht zueinander finden, bleiben nur Große Koalition oder Minderheitsregierung, geführt entweder schwarz oder rot. Grüne und FDP müssen zueinander toleranter werden. Aber auch die SPD müsste sich bewegen, um Sozialliberal wieder möglich zu machen: nämlich die Agendapolitik weiterdenken. Derzeit ist sie aber genau andersherum unterwegs. Beispiel Studiengebühren. Es wäre schon einen Streit wert, ob Studiengebühren sozial gerechter sind als keine Studiengebühren. Jetzt werden sie abgeschafft. Den Unis fehlen viele Millionen Euro. Und Bildung ist doch das Wichtigste, sagen alle. Sollten, aus Solidarität, nicht jene, die später einmal mehr verdienen, auch mehr zahlen – von wegen „starke Schultern“? Vielleicht lässt sich, wenn die Phase des Taktierens alsbald an ihr Ende gelangt, wieder richtig streiten über Politik.