Paris.

Frankreichs Städte werden neuerdings zum Schauplatz riesiger Spontan-Feten. Jugendliche verabreden sich zum Feierabendbier über das Internet und lösen so schnell gigantische Partywellen aus. Das Problem: Jede Stadt will die beste sein. Polizei und Bürgermeister werden langsam nervös.

Es kommt praktisch aus dem Nichts und braust mit der Wucht eines Tsunami über Galliens Städte. Frankreichs Jugendliche treffen sich zum „Apéro“, einer Art Feierabendbier, neuerdings unter freiem Himmel. Bevorzugt bevökert die erlebnisdurstige Facebook-Generation die Plätze der Innenstädte, um - chin-chin - mit wildfremden Menschen anzustoßen. „Apéro géant“, der „gigantische Apéritif“, nennt sich die Partywelle, die in diesem Frühjahr über Frankreich schwappt.

Weil dem schäumenden Spontan-Spektakel zudem ein kräftiger Schuss Lokalpatriotismus beigemischt ist, entwickeln sich diese „Apéros géants“ gleichzeitig zu einer inoffiziellen Landesmeisterschaft, in der jede Stadt französischer Party-Champion sein möchte. Brest will um jeden Preis eine größere Sause auf die Beine stellen als Nantes, Rennes wiederum tut alles, um Marseille zu übertrumpfen.

Produkt der Facebook-Ära

Die berauschenden Partys sind ein typisches Produkt der Facebook-Ära. Ein schlichter, meist anonymer Zweizeiler (“Apéro géant à Rennes - nur zum Vergnügen!“) genügt, um die Lawine loszutreten. Ein Videoclip im Zeitraffer-Stil zeigt, dass die weitläufige „Esplanade Charles de Gaulle“ von Rennes am Abend des 25. März binnen kurzer Zeit aus allen Nähten platzte. Am Ende zählte die Polizei 5000 „Facebooker“ in feucht-fröhlicher Laune - 2000 mehr sollten es zwei Wochen später in Brest sein. Sie kommen mit Wein und Bier, Pappbechern und MP3-Playern, und schwenkten stolz die bretonische Fahne. „Zuerst wollte ich nur ein einziges Gäschen mit Freunden trinken“, zitiert die Zeitung „Libération“ Alexis Roptin aus Brest. Doch es sollte anders kommen. „Die Stimmung war so toll, dass ich bis drei Uhr morgens blieb“, fügt der 19-Jährige hinzu.

Was den ausgelassenen „Internautes“, wie sie in Frankreich die Internet-Nutzer nennen, ein prickelndes Vergnügen beschert, treibt ängstlichen Bürgermeistern und Polizeipräfekten derweil den kalten Schweiß auf die Stirn. Aus Angst, die unangemeldeten Spontan-Partys könnten in unkontrollierbare Sauf-und-Rauf-Orgien ausarten, setzen sie sogar die „CRS“ in Marsch. Die als ruppig bekannten Hundertschaften, ausgerüstet mit Waffe und Schlagstock, Helm und Schild, die normalerweise bei gewalttätigen Demonstrationen für Ruhe und Ordnung, verfolgen das Geschehen aus sicherer Entfernung.

„Apéro-géant“-Community

Erfreulich aus Sicht der rasch wachsenden „Apéro-géant“-Community: Die Schutztruppe hat bislang nicht ein einziges Mal den Knüppel zücken müssen. „Keine besonderen Vorkommnisse“, meldete Brests stellvertretender Polizeipräfekt Jean-Pierre Condemine erleichtert zu vorgerückter Stunde. Morgens um halb zwei - mitten in der Woche wohlgemerkt - zählte er noch immer 5000 friedliche junge Menschen auf der zentralen „Place de la Liberté“.

Für Soziologie-Professor François de Singly von der Universität „Paris-V-Déscartes“ spiegelt diese neue Art von Mega-Party den Zeitgeist wider. „In den individualistischen Gesellschaften liebt man zwar seine Ruhe, aber man will nicht allein sein“, sagt der Soziologe der „Libération“. Und vergleicht die ungezwungenen und meist warmherzigen Begegnungen mit denen von Reisenden im Flugzeug: „Man unterhält sich mit seinem Nachbarn über intimste Dinge und sieht ihn nie mehr wieder.“ Auch für den magischen Reiz des Spontanen und Unkontrollierten liefert der Soziologe einen Deutungsversuch: „Die moderne Gesellschaft wendet sich nicht gegen Bindungen, sondern gegen Institutionen.“