Essen. .

Netzwerken, lernen, Spaß haben. Das dritte Barcamp Ruhr in Essen war eine Mischung aus Klassentreffen, Konferenz und Facebook in echt. Im Fokus standen mobile Internetdienste; für Jubel sorgten aber Begegnungen, mit denen wirklich niemand rechnen konnte.

Es muss ja nicht immer Berlin sein. Während in der Hauptstadt Netzwelt und politische Klasse nach Gemeinsamkeiten forschten, trafen sich am Wochenende im Essener Unperfekthaus rund 180 Menschen, die sich ebenfalls so ihre Gedanken übers Internet machen, mit ihm arbeiten, sich darin selbstverwirklichen, dort Freunde treffen, kurzum: deren Leben inzwischen zu großen Teilen im Netz spielt - aber eben nicht nur da.

Zum dritten Mal organisierte Initiator Stefan Evertz das Barcamp Ruhr. Wer hier mitmacht, kommt längst nicht nur aus dem Ruhrgebiet. Aus Süddeutschland und dem Rhein-Main-Gebiet, aus Berlin und Hamburg sind Programmierer und Designer, Werbeleute und Künstler, Menschen, die irgendwas mit Internet machen, nach Essen gereist. Es hat sieben Minuten gedauert, bis das Camp vor einigen Monaten komplett ausgebucht war.

45 Minuten Zeit für Workshop, Diskussion oder Vortrag

Entsprechend vielfältig auch die Themen des Barcamps, das bewusst offen konzipiert ist. Erlaubt ist, was interessiert. Jeder kann ein Thema vorschlagen und hat 45 Minuten Zeit für einen Workshop, eine Diskussion oder einen Vortrag. Man muss sich so ein Barcamp als spontane Konferenz vorstellen: Viele Themen werden erst vor Ort vorgeschlagen, Uhrzeiten und Räume verteilt, und wer Lust hat eine Session zu halten oder zu sehen, geht einfach in Räume, die Duisburg oder Bochum, Dortmund oder Castrop-Rauxel heißen.

Ein großer Teil der rund 70 Sessions hatte die Möglichkeiten des mobilen Internets zum Thema. Standortbezogene Dienste, so genannte Location Based Services, also Anwendungen, die auf Smartphones mit GPS-Ortung funktionieren, wie Google Maps, Latitude, Foursquare oder Gowalla wurden ebenso diskutiert wie Möglichkeiten für Werbung, Dienstleistungen und soziale Kontakte. Ist es schlimm, niemanden mehr nach dem Weg fragen zu müssen? Und was passiert, wenn ich nur noch in Restaurants sehe, die mir mein Handy vorschlägt, statt mich mit offenen Augen durch eine fremde Stadt treiben zu lassen? Nicht immer hatte das Barcamp Antworten, es stellte aber oft die richtigen Fragen.

Kulturtechnik des Nicht-dauernd-Fotografieren-und-ins-Netz-stellen-müssens

Vor allem in Sessions, die sich mit sozialen Netzwerken und dem öffentlichen Umgang mit Privatheit befassten, wurden auch kritische Töne laut. Hat Google-Chef Eric Schmidt Recht, wenn er sagt: „Wenn es etwas gibt, bei dem sie nicht möchten, dass es jemand anderes weiß, so sollten dies dieses einfach gar nicht erst nicht tun“ ? Oder brauchen wir eine neue Kulturtechnik des Nicht-dauernd-Fotografieren-und-ins-Netz-stellen-müssens?

Die Frage, ob sie ein soziales Netzwerk nutzen, hatten die Barcamper indes längst für sich entschieden. Kein Namensschild, auf dem nicht auch ein Twitter-Name stand, niemand ohne Facebook-Seite, die meisten auf mindestens einer weiteren Plattform angemeldet – und eine iPhone-Dichte von gefühlten 80 Prozent. Das Barcamp, es ist ein bisschen so wie Facebook in echt: Ein Klassentreffen einer heterogenen Gruppe mit vielen Gemeinsamkeiten.

Interesse am Hype rund um Chatroulette

Manche Sessions gerieten ein wenig zu kurz, weil 45 Minuten oft gerade einmal dazu ausreichen, ins Thema einzusteigen. Trotz des strengen Zeitplans herrschte eine entspannte, freundschaftliche Atmosphäre in Räumen, die oft mehr Wohnzimmer statt Konferenzsäle waren.

Die mit Abstand beliebteste Session in einem der größten Räume gab es zum jüngsten Internet-Hype um Chatroulette, ein Videochat-Portal, bei dem die Gesprächsteilnehmer zufällig verbunden werden. Und so sah sich Colin aus Neufundland plötzlich mit grölenden Barcampern in Essen konfrontiert, während er schon im Bett lag.

Im kommenden Jahr soll das Barcamp Ruhr wieder in Essen stattfinden.

Fotos: Alexander Koellner