Kamen. .

Morgens Schule in Kamen, nachmittags Training, regelmäßig Nachhilfe wegen Unterrichtsausfalls, am Wochenende Spiele - und immer ganz viel Fußball. Wo? An Deutschlands einzigem Fußball-Internat für Mädchen.

Im Torraum dribbeln vier junge Beine, es ist nichts zu hören als quietschender Kunststoff, konzentriertes Keuchen, dann: ein krachender Schuss, ein Kraftausdruck. Der Ball landet im Busch. Nicht Kapstadt, Kamen! Und auch nicht Cacau, sondern Katharina. Nachmittag an Deutschlands einzigem Fußball-Internat für Mädchen.

Dabei ist das Training schon vorbei. Leichtathletik hatten sie heute, Antritte, Kurzsprints, sie haben kaum noch Luft, aber immer noch Lust: „Die sind nicht totzukriegen“, sagt Pia Wunderlich und wundert sich schon nicht mehr. Die ehemalige Nationalspielerin hat im Fußball schon vieles erlebt, war Welt-, Europa- und Deutsche Meisterin, holte UEFA- und DFB-Pokal – und jetzt erlebt sie als Koordinatorin des Internats diese 13 Mädels, die eben schon wieder nach dem Hallenschlüssel fragen: Die wollen nur spielen! „Manchmal ist es schon viel“, gesteht Nicole, „aber am Ende kann man nicht ohne.“

„Man muss Gas geben.“

Nicole Valderama, genannt Nicci, 15, „Zentrales Mittelfeld, offensiv“, geboren in Kolumbien, aufgewachsen in Marl, lernte das Fußballspielen in Opas Garten. Katharina, die Kleinste (Bödecker), gerade 14, Abwehr, entdeckten sie beim SV Brenkhausen, in der Nähe von Höxter. Talentsichter holen den hoffnungsvollen Nachwuchs zur Sportschule nach Kamen-Kaiserau, wo der Deutsche Fußball-Bund und der Fußball- und Leichtathletikverband NRW drei Wohngemeinschaften eingerichtet haben. Die Eltern beteiligen sich am Elite-Schulbesuch ihrer Töchter mit 400 Euro im Monat. Mindestens Westfalenauswahl müssen ihre Kinder spielen – mindestens Weltmeisterinnen wollen sie alle werden. „Man muss Gas geben“, sagt Nicci, „und total diszipliniert sein.“

Morgens Schule in Kamen, nachmittags Training, regelmäßig Nachhilfe, weil durch externe Lehrgänge viel Unterricht ausfällt, am Wochenende Spiele mit den Heimmannschaften: „Zwei-, dreimal Training ist zu wenig“, weiß Pia Wunderlich, die sich ein Internat wie dieses als junge Spielerin gewünscht hätte. In Kamen trainieren sie auch Kraft und Athletik, dazu wöchentlich mit den Jungen vom SuS Kaiserau. „Frauen legen mehr Wert auf Technik“, sagt Wunderlich, „aber die Mädchen müssen auch Robustheit und Zweikampfstärke haben.“ Manchmal, sagt Katharina, „gucken die Jungs doof. Die denken, ein Mädchen kann eh nix.“ Nicci ignoriert sowas: „Am Ende sehen die ja, dass das nicht immer so ist.“

Steffi Jones ist Vorbild

Wohl wahr: Die Jüngsten hatten kürzlich ihr erstes Länderspiel mit der U 15 in den Niederlanden; zwei fahren mit der U 17 zur Europameisterschaft – und vielleicht weiter zur WM in der Karibik. Fast alle spielen im Nationalteam ihrer Altersgruppe, Nicci und Katharina waren sogar schon lange vor den Herren in Südafrika: im Dezember mit der Westfalenauswahl. Dort schoss Nicci auch ihr schönstes Tor. „Ich wollte flanken, aber dann ging der Ball in so einem Bogen. . .“ Aus Versehen also. Kick it like Nicci!

Als das Internat vor nicht einmal zwei Jahren eröffnete, notierten die meisten Mädchen in ihrem Steckbrief unter „Lieblingsspieler“ Ronaldo. Oder Ballack, mindestens. Jetzt sagen Nicci und Katharina: „Steffi Jones.“ Oder „Alexandra Popp“, erst 19 und schon Nationalspielerin. Da wollen sie hin, ohne viel Rücksicht auf Verluste: „Heimweh hatten wir noch nie“, sagt Pia Wunderlich, und die schlimmste Verletzung, die Nicci bislang hatte, war ein gebrochener Zeh: Da hatte sie auf Socken geschossen.

Sonst ist „meistens lustig mit den Mädels“, sagt Nicci, Gezicke sei immer schnell vorbei. Zu Katharinas Geburtstag haben sie Pizza für alle bestellt – trotz Fastfood-Verbots. Als anständige Teamspielerinnen preisen sie ihren Zusammenhalt: „Wir freuen uns über jedes Spiel, dass wir gemeinsam gewinnen“, sagt Katharina. „Und es hält auch“, ergänzt Nicci, „wenn wir verlieren.“ Und übrigens finden sie Frauenfußball „schöner anzugucken als Männer“. Wenn sie spielen, sind lauter Pferdeschwänze auf dem Platz, und die Ponys werden gehalten von Stirnbändern, wie auch die langhaarigen A-Herren sie tragen. Deren WM übrigens wird schwer, glaubt Nicci. „Nicht nur wegen Ballack. Die sind alle noch so jung.“