Aachen. .

Die Bundesregierung reagiert auf die Schlappe vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte: Künftig soll eine Sicherungsverwahrung schon beim Urteil verhängt werden. Das Gericht hatte die nachträgliche Verwahrung untersagt. Viele Gewaltverbrecher können nun mit ihrer Freilassung rechnen.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger eine Reform der Sicherungsverwahrung angekündigt. Die Verwahrung gefährlicher Straftäter solle künftig direkt bei der Verurteilung eines Straftäters geprüft und angeordnet oder unter Vorbehalt ausgesprochen werden, sagte die FDP-Politikerin am Freitag auf dem Anwaltstag in Aachen. Weiter solle die Verwahrung auf schwere Straftaten beschränkt werden.

Die Frage, ob Straftäter als Konsequenz aus dem Straßburger Urteil aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssten, hätten jetzt die Staatsanwaltschaften und Gerichte zu entscheiden. Dies seien schwierige Einzelfallentscheidungen, sagte die Ministerin. Schätzungen zufolge sitzen zwischen 70 und 100 Straftäter in nachträglicher Sicherungsverwahrung. Auch beim Bundesverfassungsgericht ist ein Fall zur neuen Prüfung anhängig.

Für die künftige Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung kündigte die FDP-Politikerin eine enge Zusammenarbeit mit den Ländern an, die auch für Therapieangebote zuständig sind.

Die Straßburger Richter hatten im Dezember vergangenen Jahres die im Nachhinein verlängerte Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention bewertet. Einem Betroffenen muss die Bundesrepublik 50.000 Euro Entschädigung zahlen. Er war verurteilt und untergebracht worden, als die Sicherungsverwahrung noch auf maximal zehn Jahre begrenzt war. Während seiner Unterbringung fiel jedoch 1998 diese Grenze und er wurde aufgrund der nachträglichen Verschärfung nicht entlassen.

Verstoß gegen Rückwirkungsverbot

Als die kleine Kammer des EGMR dies beanstandete, legte die Bundesjustizministerin Rechtsmittel ein. Am Dienstag lehnte ein fünfköpfiger Ausschuss die Verweisung des Falles an die Große Kammer ab, womit das Urteil vom Dezember 2009 rechtskräftig ist. Das setzte die Bundesregierung unter Druck: Um ein konventionsgerechtes Verhalten zu erreichen, muss die Sicherungsverwahrung reformiert werden.

Anders als das Bundesverfassungsgericht beurteilte der EGMR die Sicherungsverwahrung nicht als vorbeugende Maßnahme, sondern als Strafe. Oft säßen die Verwahrten sogar in derselben Zelle, in der sie als normale Strafgefangene ihre Haft verbüßten. Somit verstoße die nachträgliche Verlängerung gegen das Rückwirkungsverbot. (apn)