Essen.
Der ZDF-Talk am Donnerstag. Das Thema war vorprogrammiert. Tanz in den Tod. Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe? Maybritt Illner und Gäste suchten nach Antworten. Fazit: Indirekt plädierte die Runde für Sauerlands Rücktritt.
Kommt endlich mehr Licht in die Hintergründe des Tunnel-Unglücks von Duisburg? Bei Maybrit Illner gab es in der ZDF-Talkrunde den Versuch, schlüssige Antworten auf die quälenden Fragen nach dem Loveparade-Drama zu finden. 21 tote junge Menschen und Hunderte von Schwerverletzten. Warum? Wer trägt die Verantwortung und welche Konsequenzen sind erforderlich? Veranstalter, Planer und Entscheidungsträger schweigen. Sie kamen nicht in die Sendung.
Andere Männer, die mitreden wollten, stellten sich der Diskussion: Fritz Pleitgen, Geschäftsführer der Ruhr 2010; Rainer Wendt, Vorsitzender der deutschen Polizei-Gewerkschaft; Wolfgang Bosbach, CDU-Experte für die Innenpolitik; Paul van Dyk, DJ-Guru der Raver- und Techno-Szene; Manuel Lippka, seit 12 Jahren eingefleischter Loveparade-Besucher. Kein provokanter Gesprächskreis.
Als Berater des Krisenstabs vom Samstag noch immer sichtlich betroffen, warnte Journalist Fritz Pleitgen vor polemischen Analysen: „Es ist mir zu gefährlich. Wir sollten mit unseren Worten ganz vorsichtig sein und nicht zur vorschnellen Urteilen kommen.“
Pleitgen: Niemand habe den Sinn des Events bezweifelt
Denn Pleitgen betonte wie euphorisch im Vorfeld um die Duisburger Loveparade gebuhlt worden sein: „Zeitungen und Marketing-Konzeptler haben gesagt, es ist wünschenswert das zu machen.“ Schließlich sei es darum gegangen, den Gedanken einer lebendigen Kultur im Ruhrgebiet auch auf die Jugend zu übertragen.
Niemand habe den Sinn des Events bezweifelt oder es gar auf Teufel komm raus nach Duisburg holen wollen. Erst recht nicht, wenn es schwerwiegende Sicherheitsbedenken gegeben hätte. Pleitgen: „Stadtrat, Oberbürgermeister und Politiker hätten sich nicht beeindrucken lassen und gesagt, das ziehen wir jetzt durch.“
Jedoch sei im Gegensatz zur Organisation des Still-Lebens 2010, die drei Jahre gedauert habe, der Zeitfaktor für das Loveparade-Management im Revier wohl zu kurzfristig gewesen. Als die Entscheidung für Duisburg im Februar getroffen wurde, seien nur vier Monate zur Vorbereitung geblieben. Pleitgen: „Es kann sein, dass das Sicherheitskonzept nicht ausreichend war, um alles zu bedenken.“
Bosbach fordert indirekt Sauerlands Rücktritt
Trotzdem brach er eine Lanze für Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland. „Ein Mann, der bis dahin ein sehr beliebter Politiker gewesen ist. Ich habe das Gefühl, dass eine Jagd auf die Schuldigen ausbricht, die dann zumachen und gar nichts mehr sagen.“ Korrekt.
Sehr wohl sei ihm aber klar: „Wenn ich Oberbürgermeister bin und amtiere, dann muss ich auch amtieren, mich der Verantwortung stellen und nicht in Deckung gehen.“ Fritz Pleitgen hatte mehr Transparenz erwartet: „Ab Montag musste die Stadt Duisburg Farbe bekennen.“
Womit dann auch Wolfgang Bosbach seinen Parteikollegen Sauerland, den er für seine zupackende Art und Bodenständigkeit geschätzt habe, mächtig ins Visier nahm: „Politische, moralische Verantwortung heißt: Keine Flucht, sondern Übernahme der Verantwortung.“ Das saß. Und Polizei-Gewerkschaftschef Rainer Wendt setzte noch oben drauf: „Wo kommen wir hin, wenn ein politischer Amtsträger nicht die Verantwortung übernimmt, wenn 21 Menschen gestorben sind.“ Eine deutliche Aufforderung an Sauerland, endlich seinen Rücktritt als Oberbürgermeister zu erklären.
Wendt weiß offenbar mehr. Er sprach von Schlampigkeit der Behörden. Der DPolG-Vorsitzende verschärfte den Ton: „Die Rolle des Spitzenbeamten in Duisburg gilt es auch zu untersuchen. Spitzenbeamte, die Spitzengehälter bekommen. Diese Herren Dezernenten gehören auch nicht mehr in ihre Positionen.“
Mindeststandards bei den Sicherheitskonzepten
Die unverzügliche Aufklärungsarbeit der neuen Regierung in Nordrhein-Westfalen hingegen lobte Wendt: „Innenminister Jäger und Ministerpräsidentin Kraft haben sehr gute Arbeit geleistet. Das haben Herr Sauerland und seine Dezernten nicht gemacht.“
Wendt plädierte für eine bundesweite Verständigung auf gewisse Mindeststandards bei den Sicherheitskonzepten. Statt einem wirkungslosen Einvernehmen mit der Polizei sollten Genehmigungen, wie in England praktiziert, nur noch nach Zustimmung der Polizei erteilt werden. Was Wolfgang Bosbach animierte, eine Bundeszentrale für Sicherheitsfragen zu fordern. Bund, Land und Kommunen könnten gemeinsame Vorschriften entwickeln.
Diese Art „TÜV“ für große Festivals ging Paul van Dyk zu weit. Der Event-erfahrene DJ meinte: „Eine Expertise der Polizei reicht, Politiker sollten sich nicht einmischen.“ Für Manuel Lippka (30), Augenzeuge im Duisburger Todestunnel, bleibt nach allen Statements die Tragödie ein Rätsel: „Ich bin der Masse hinterher gegangen. Ich bin in eine Falle gegangen. Wie kann es sein, dass so etwas passiert?“
Lippka glaubt dennoch: „Es wird wieder eine Loveparade geben. Vielleicht in Berlin.“ Zustimmend pflichtete ihm Fritz Pleitgen bei: „Derartige Veranstaltungen braucht man.“ Unter konsequenten Bedingungen: „Der, der die Sicherheitsbedenken hat, muss auch das letzte Wort haben. Das muss die Lehre aus dieser Katastrophe sein.“