Essen. .
Thyssen-Krupp verlagert seinen Firmensitz von Düsseldorf nach Essen. Während noch die Restarbeiten am neuen Hauptquartier laufen, beginnt bereits die Operation Vermöbelung.
Am 17. Juni wird der neue Campus feierlich eröffnet. Während dort zurzeit noch Restarbeiten laufen, werden die sechs Gebäude schon aufgemöbelt.
Aus der Perspektive eines Vogels muss der Kruppgürtel lange gewirkt haben wie ein geworfenes Handtuch. Eine riesige, bumerangförmige Öde, die sich von Westen her um die Essener Innenstadt legt. Das frühere industrielle Herz, herausgerissen von Weltkriegsbomben, eine Wunde, die nie heilte. Bis jetzt. Wer vom Berliner Platz aus zwischen Colosseum und Ikea hindurchfährt und noch ein Stück weiter, dem erscheint plötzlich dieser ätherische Quader: Thyssen-Krupps neues Hauptquartier – ein Würfel mit Durchblick, ein Rahmen nur für das Fenster zur Welt. Ein Wahrzeichen aus Glas und vor allem Stahl. Und dennoch federleicht, leicht wie Krupp-Stahl! Unser Vogel ist verblüfft, dass sich Strukturen derart wandeln können.
Die „Alle der Welten“
Noch ist der Campus um diesen Quartier-Quader eine Baustelle. Die Bäume aus fünf Kontinenten stehen schon entlang der „Allee der Welten“. Aber dem Becken daneben fehlt noch das Wasser, den Wegen das Pflaster, innen werden noch letzte Teppiche geklebt und Kabel verlegt und Wände gesetzt – bis zuletzt.
Das heißt, bis zum 17. Juni, dann ist Einweihung, dann klappen rund 2000 Mitarbeiter ihren Laptop zu und haben einen Tag frei, während ihre Kartons von Düsseldorf, Essen, Duisburg und Bochum in eines der sechs Gebäude auf dem Campus gebracht werden. „Und innerhalb von 24 Stunden ist die Sache gelaufen“, sagt Frank Heekerens, Geschäftsführer von Thyssen-Krupp Real Estate. Dabei hat der Umzug längst begonnen.
Seit Monatsbeginn kann man die Laster beobachten, wie sie ihre Hänger auf der gesperrten Spur des Berthold-Beitz-Boulevards abstellen. Dann verschwinden die „Koffer“ und sind nicht mehr gesehen: „Alles läuft unterirdisch“, sagt Heekerens. Auf dem Campus werden auch später keine Autos fahren, also werden die Büros auch jetzt durch die riesigen Tiefgaragen beschickt. Hier gibt es Parkplätze für mehr als 11 000 Möbel, für Schreibtische, Kaffee-Ecken, Sitzgruppen und Sideboards in 38 Ausführungen ...
Mal ist der mit Bauzäunen unterteilte Möbelzoo vergleichsweise leer, dann gibt es wieder einen kleinen Möbelauflauf. Der Logistiker Andreas Fanger hat das alles genau geplant. Zwei Stunden maximal für jeden der 140 Koffer, Taktzeiten für jedes noch so kleine Stühlchen, auf dass alles sitzt. Und darum hat Fanger auch festgelegt, wer wann die Aufzüge benutzen darf – das Nadelöhr.
Fanger schläft kurz derzeit, aber gut, denn „bisher gab es keinen Bruch.“ Er koordiniert zwölf Zulieferfirmen, die abladen und montieren in dieser taghellen Garage. Sie schieben ihr Stück zu den Aufzügen, die Thyssen-Krupp Elevator montiert hat. Sie rollen in eines der lichten Büros – alles Glas und weiß hier – und vielleicht schauen sie einmal kurz über Essen durch die sich selbst ausrichtenden Lamellen, die der Konzern extra als Sonnenschutz entwickelt hat. Und das gilt für die gesamte Fassade: Stahl, natürlich! So dünne und leichte Spezialbleche gab es bislang nicht. Damit will Thyssen-Krupp nun dem Aluminium Konkurrenz machen.
Einladung an den Bürger
So soll das 300-Millionen-Euro-Ensemble auch zu „einer Art Showroom der ThyssenKrupp-Produkte“ werden, sagt der Projektverantwortliche Martin Grimm, Vorsitzender der Geschäftsleitung. Helligkeit, Transparenz, Offenheit – „diese Gebäudearchitektur wird um die Welt gehen“. Und vielleicht, so die Hoffnung, flaniert hier bald auch der normale Bürger – selbst wenn es außer Architektur zunächst nichts gibt, was ihn locken könnte. Ob er die Kantine besuchen darf, ist noch nicht ausgemacht.
Aber es soll zwei Tage der offenen Tür geben am 18. und 19. September, und der Krupp-Park nebenan ist ja schon fertig, dort tollen sie bereits herum, die Altendorfer, so klein von hier oben. Die Firma hat das Grundstück gegeben und das Material für die jüngsten Halden des Reviers. Denn mit Brechern mussten sie den Baugrund pflügen, 450 000 Kubikmeter, um Fundamente der alten Gußstahlfabrik zu beseitigen und andere Hinterlassenschaften im Kruppschen Mutterboden. Ein gutes Drittel davon haben sie im Park aufgeschüttet – und ordentlich versiegelt. Und wenn ThyssenKrupp schon ein Haus am See baut, dann entwässert auch das Dach in denselben.
Das Veto der Krise
Auch interessant
3000 Mitarbeiter sollen hier einmal arbeiten, denn vier der geplanten zehn Gebäude werden ja erst später gebaut: Drei Bürohäuser, die Akademie für Führungskräfte – Veto der Wirtschaftskrise. Aus dem gleichen Grund hat die Firma vor ihrem backsteinernen Kreuzgebäude – das nur innen komplett umgemodelt wird – zwar schon eine Grube gebuddelt, aber noch keinen Investor ausgegraben für das geplante Vier-Sterne-Plus-Hotel. Und die Krise ist auch mitverantwortlich dafür, wer welches Büro bekommt. Denn der Konzern hatte 2009 alle seine Unternehmungen neu gegliedert, stärker zentral und nach gleichen Geschäftsmodellen. „Erstmals werden nun unsere Mitarbeiter auch räumlich in den neuen Strukturen arbeiten“, erklärt Grimm.
Strukturen! Essen statt Düsseldorf. Ende Juni wird das Drei-Scheiben-Haus in der Landeshauptstadt besenrein übergeben, Nachmieter haben die neuen Besitzer um eine Deutsche-Bank-Tochter noch nicht. Ein Leerstand dort und ein Ausrufezeichen hier. Ein Impuls, denn der Weltkonzern entwickelt ja nur den ersten Abschnitt des Krupp-Gürtels. Ein Fünftel! Aber das Herzstück. Und für den Rest? Werden Visionen gesucht.