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Wer sich depressiv fühlt und sich in Behandlung geben möchte, muss oft viel Geduld mitbringen. Die Wartezeit auf einen Termin bei einem Psychologischen Psychotherapeuten liegt in vielen Fällen bei mehreren Monaten. Für Fachleute ein „katastrophaler Zustand“ - der Gesundheitszustand könne sich in der Zeit rapide verschlechtern.

Es ist erst wenige Monate her, da hat der Freitod des Nationaltorhüters Robert Enke die Deutschen aufgeschreckt. Die Krankheit „Depressionen“ war in aller Munde. Mehr Transparenz und Verständnis wurde in der Öffentlichkeit gelobt. Doch eines hat sich für Betroffene nicht geändert: „Wer Anzeichen einer Depression zeigt, muss oft monatelang auf einen Termin für eine psychologisch-psychotherapeutische Behandlung warten“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VPP) Eva-Maria Schweitzer-Köhn.

„Völlig ausgebucht“

In Köln liegt die Wartezeit mitunter bei eineinhalb Jahren. „Normalerweise haben wir eine Warteliste, aber selbst die mussten wir jetzt schließen, weil wir völlig ausgebucht sind“, berichtet die Psychologische Psychotherapeutin Uschi Gersch aus Köln. „Früher versuchten wir über relativ kurzfristige Erstgespräche herauszufiltern, ob es sich um Notfälle handelt, die schnell in die Klinik müssen, aber auch das ist derzeit nicht möglich“, so Gersch. „Aus unserer Sicht ist die Versorgungslage eine Katastrophe – aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung ist der Raum Köln sogar überversorgt“, fügt Gersch hinzu.

Klar ist: Für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung ist die Kassenärztliche Vereinigung zuständig. „Allerdings macht der Gesetzgeber die Vorgaben, auf wie viele Bewohner ein Arzt beziehungsweise ein Psychotherapeut kommt“, so Karin Hamacher, Sprecherin der KV Nordrhein. Aktuell sieht die KV noch keine Möglichkeit zum Eingreifen. „Dazu müssten erst die Psychotherapeuten auf den Gesetzgeber oder auf uns zugehen“ Dann werde festgestellt, ob diese dem Andrang nicht mehr Herr werden und der Bedarf dieser medizinischen Versorgung sehr viel größer ist, als bisher in der Bedarfsplanung festgelegt.

Längere Krankschreibung

Depressionen können sich auf verschiedene Weise äußern. Auch Kopf- und Magenschmerzen können Indizien sein.
Depressionen können sich auf verschiedene Weise äußern. Auch Kopf- und Magenschmerzen können Indizien sein. © Unbekannt | Unbekannt

Lange Wartezeiten können sich äußerst kontraproduktiv auf den Krankheitsverlauf auswirken. „Schließlich kann sich eine beginnende Depression in der Zeit zu einem schweren Notfall entwickeln“, so Schweitzer-Köhn (VPP). „Eine frühe Behandlung kann große Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf haben“, erläutert die Fachfrau. Nicht nur die Dauer der Heilung könne verkürzt werden. Häufig ziehe sich ein Mensch mit Depressionen zurück. Oft wird er für längere Zeit krank geschrieben, was auch eine Gefahr für den Arbeitsplatz birgt. Dazu komme, dass sich Depressionen teilweise auch verbergen und sich etwa durch dauernde Magenschmerzen äußern.

Ein weiterer Kritikpunkt aus Sicht der Psychologischen Psychotherapeuten: Was helfe es, wenn sich ein Betroffener bereits im Frühstadium aufrafft und zu einem Psychologen gehen will, er aber keine Chance auf schnelle professionelle Hilfe hat: „Wenn die Betroffenen von den Wartezeiten hören, reagieren einige mit Wut. Falls jemand allerdings resigniert, haben wir schon ein mulmiges Gefühl“, gibt Gersch offen zu.

Probleme in persönlichen Netzwerken

Wenn die Krankheit vom Hausarzt trotzdem erkannt werde, müsse dieser entscheiden, ob der Patient als Notfall direkt in eine Klinik eingewiesen wird oder aber dieser die Wartezeit in Kauf nehmen muss. „Dann freut sich die Pharmaindustrie, weil erst einmal Medikamente ausgegeben werden“, so Gersch. Dazu kommen Probleme in den persönlichen Netzwerken – Beziehungen und Freundschaften könnten leiden, weil das Umfeld die Krankheit nicht versteht. „Oft hat man das Gefühl, dass ein viel früherer Kontakt zum Patienten sehr geholfen hätte“, sagt Gersch.

Ähnlich wie in Köln gestaltet sich die Situation in Oberhausen: „Wenn man den Bedarf der Patienten sieht, sind wir eindeutig unterversorgt, doch in den Augen der Krankenkassen gibt es eine Überversorgung“, erklärt der in Oberhausen ansässige Psychologische Psychotherapeut Heribert Joisten. Die Zahlen zur Bedarfsplanung seien künstlich und nicht nachvollziehbar. Joisten kann zudem nicht nachvollziehen, warum die Krankenkassen mit Blick auf die Behandlungskosten nicht auf die Situation reagieren: „Falls eine Depression erst behandelt wird, wenn die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, fallen bereits zahlreiche Kosten an – ganz zu schweigen von den Kosten für einen möglichen Klinkaufenthalt.“

Ungerechtkeiten seien unvermeidbar

Bei Joisten liegen die Wartezeiten zwischen mehreren Monaten und einem Jahr. Ungerechtigkeiten ließen sich deshalb nicht vermeiden. Nur in absolut dringenden Notfällen könne man Patienten einen kurzfristigen Termin geben. Dabei würden auch keine Privatpatienten bevorzugt. „Der Honorarunterschied zu Gesetzlich Versicherten ist so gering, deshalb würde ich niemanden bevorzugen.“

Beim Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung ist man sich nicht so sicher, ob sich alle Ärzte an diese Vorgabe halten. „In einigen Regionen wird der Behandlungszeitraum von Gesetzlich Versicherten zu Gunsten von Privatpatienten verringert“, kritisiert eine Sprecherin des Verbandes. Nicht jeder agiere als Arzt, sondern einige eher als Kaufmann.

Krankenkasse überprüft Angaben

Ein Ausweg für Betroffene mit langen Wartezeiten ist die so genannte 13/3 Klausel. Versicherte haben Anspruch auf eine qualifizierte Versorgung – gegebenenfalls auch von einem Fachmann, der nicht durch die kassenärztliche Vereinigung zugelassen wurde. Die Kosten für die Behandlung werden von der Krankenkasse erstattet, wenn der Patient beispielsweise nachweisen kann, dass er vergebens bei zehn Psychologen um einen Termin gebeten hatte. „Diese Angabe wird von der Krankenkasse häufig überprüft“, warnt Gersch.

Ein weiterer Grund für den großen Andrang bei Psychologen und Psychotherapeuten sei nach Angaben einiger Experten auch die erhöhte Sensibilität in der Bevölkerung nach dem Freitod von Robert Enke. Deshalb kämen einige Leute, die nicht automatisch an Depressionen leiden. Auch in diesen Fällen braucht es Zeit für Gespräche, um eine Diagnose zu stellen und die ist derzeit nicht da. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es in naher Zukunft besser wird. Im Gegenteil. Ich befürchte es wird noch schlechter“, so Joisten.