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Die UNO prognostiziert eine Rekordernte für Afghanistan - was allerdings nicht als Erfolgsmeldung zu verstehen ist. Denn es geht um Schlafmohn, aus dem Opium für die Drogenszenen der Welt gewonnen wird. Die Fahnder entlang der Schmugglerrouten können den Strom nicht stoppen.

100 000 Nato-Soldaten sind in Afghanistan. Doch sie können den Opiumanbau im Land nicht stoppen. Jetzt rechnet die UNO mit der vierten Schlafmohn-Rekordernte nacheinander. Auch in Deutschland nehmen die Sicherstellungen von Heroin wieder deutlich zu. Zollfahnder versuchen verstärkt, die 5000 Kilometer lange Balkan-Route trocken zu legen, auf der die Droge in den Westen gelangt.

„Unser Radar setzt in der Türkei ein“

Weiß oder rot blüht Papaver Somniferum in der Sonne der Provinz Helmand. Der Wert des Schlafmohns liegt in seinen Kapseln. Ritzt der Bauer sie am Abend an, läuft über Nacht ein weißer Saft heraus. Es ist der Stoff, der als Endprodukt Süchtige auf der ganzen Welt den Rausch „wie einen vielfachen Orgasmus“ erleben lässt, wie es Wissenschaftler beschreiben - und der Konsumenten am Schluss in Elend und Tod stürzt. 120 Dollar bekommt der Bauer beim Händler dafür. Pro Kilo.

Aus dem weißen Saft des Schlafmohns wird der Rohstoff gewonnen.
Aus dem weißen Saft des Schlafmohns wird der Rohstoff gewonnen.

Nato-Truppen sind in Afghanistan. Warum nicht auch Zoll-Fahnder, die das alles unterbinden? „Zu gefährlich“, sagt ein Experte im Zollkriminalamt. „Unser Radar setzt in der Türkei ein“. Das bedeutet: Die türkischen Beamten sind verlässlich. Sie kooperieren. Sie sind ausgebildet. Sie machen mit bei der Jagd wie es auch die Bulgaren tun. Das neue Europa arbeitet zusammen, um das Heroin abzufangen. Das bedeutet aber auch: Der erste Abschnitt der „Balkan-Route“, auf der die tödlichste Droge der Welt westwärts reist, ist unbegleitet, unberechenbar und unbewacht.

Mit Bestechung über die Grenze

Gotteskrieger verdienen mit, noch bevor es losgeht. Von den 120 Dollar zahlen die Bauern zehn Prozent Schutzgeld. Gläubige Taliban verabscheuen Drogen. Eigentlich. Unter ihrem Regime war der Mohnanbau verboten. Jetzt haben sie erkannt, wie man dem Westen doppelt schadet: Mit Heroin, das seine Jugend vergiftet. Mit Erlösen aus dem Schutzgeld, verwendbar für den Waffenkauf zum Kampf. 150 oder auch 300 Millionen Dollar füllen so ihre Kasse.

Esel transportieren den Stoff durch die Berge, manchmal sind es auch motorisierte Schrottlauben. Die Händler, lokale Lords und ihre Helfer, wissen sich hier zu bewegen. Grenzwächtern des Iran, durch den 60 Prozent des Schmuggels geht, und auch den Polizisten unterwegs gefällt es, wenn die grünen Scheine winken. Dollars bewirken, dass beim Passieren der Ware die Sonne blendet.

Heroindepots im Ruhrgebiet

Irgendwo zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer, wo der Iran an die Türkei stößt, beginnt der große Veredelungsprozess. In der Türkei stehen die Labors und die Garagen. Man mixt Rohopium und Essigsäure-Anhydrid zu Heroin. Und der Transport wechselt vom Esel auf PS-starke Lkw. Den Fahrern drücken die Manager der Drogenmafia dutzende Telefon- oder Handykarten in die Hand, bevor die Konterbande in den Hohlräumen unterm Sitz, in der Achse, unterm Kühlturm verschwindet.

Sie werden sich alle paar hundert Kilometer auf dieser weiten Reise melden, um neue Befehle zu erhalten: Die Straße wechseln, um die Fahnder zu täuschen. Anhalten. Oder abladen. Oder die Ware ins Lager bringen, das auch in Deutschland liegen kann. Im Ruhrgebiet beispielsweise, wenn der Transport über die A 45 nach England geht. „Das Ruhrgebiet“, sagt Wolfgang Schmitz vom Zollkriminalamt, „ist nicht nur Markt für Heroin. Hier werden auch Depots angelegt. Immer wieder“.

In Kabul werden aufgespürte Drogen verbrannt.
In Kabul werden aufgespürte Drogen verbrannt.

Manchmal sind die Fahnder des Zolls nah dran. Dann klebt eine Wanze unter der Kabine von Lkw oder Geländewagen, die ununterbrochen Signale an einen Satelliten schickt. Der signalisiert nach Istanbul und Sofia und Wien und Köln: Die Ware kommt. Sie warten ab, bis das Heroin den nächsten Kurier erreicht hat. Und schlagen zu. Wie 2008: 34 Mal in Bulgarien. 22 Mal in Ungarn. 43 Mal in der Türkei. Oder sie warten bis zum nächsten Mann in der Kette. Und beantragen drei statt zwei Haftbefehle.

Beschlagnahmungen haben kaum Einfluss auf den Preis

Die Ohren auf hat auch der deutsche Verbindungsbeamte in Istanbul. Man flüstert ihm, ein großer Transport sei unterwegs. Im Mittelpunkt des Plans: Nurettin E., 58, der mit seiner Familie unauffällig in der bayerischen Landeshauptstadt lebt. Als ihn die Fahnder observieren, fällt auf: Ab und an reist E. nach Istanbul. Dort organisiert er gerne Herointransporte all inclusive. Er besorgt nicht nur die Roadster. Persönlich und vor Ort kümmert er sich darum, dass die Fracht ankommt. Er hinterlässt Spuren hin zu seinen Kurierfahrern. Die trifft es nacheinander in der Türkei, dann in Bad Reichenhall: Festnahme. 100 Kilo Heroin werden bei ihnen sichergestellt. E. wird nervös, seine Reisetätigkeit intensiver. Er muss „Schäden regulieren“. Mit jeder Regulierung zieht sich das Netz zu. Auf Münchens Flughafen klicken endlich die Handschellen.

Die Fahnder in Köln ziehen Bilanz. Viel funktioniert. Wie die Zusammenarbeit mit der Türkei. Wie der Einsatz moderner Technik. Wie die Sache mit Nurettin E. und seinem später verhafteten Komplizen Alexander A., die beide ihre Strafen absitzen. Aber da sind auch Zweifel. Fünf Tonnen „H“ werden jedes Jahr im Schnitt in Europa beschlagnahmt. Die UNO schätzt die konsumierte Menge auf dem Kontinent aber auf 100 Tonnen. 150 000 meist junge Leute in Deutschland sind heroinabhängig. 800 bis 1000 jedes Jahr sterben an Überdosen. 100 000 sind es weltweit. Und „es hat kaum Einfluss auf die Preise, wenn wir Ware beschlagnahmen“, sagt einer der Fahnder.

Für die Händler ist die Rendite riesig. 120 Dollar bekam der erzeugende Bauer in der Provinz Helmand. 20 000 Dollar kostet sein Kilo, aufgehübscht mit Chemikalien, auf dem Schwarzmarkt Europas.