Berlin. .

Die Krankenversicherung wird schon bald für Millionen Versicherte teurer. Heute geben die ersten Kassen offiziell bekannt, ab wann sie Zusatzbeiträge erheben werden. Doch dabei wird es nicht bleiben. Der Spitzenverband der Kassen erwartet flächendeckend Zusatzkosten für gesetzlich Versicherte.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen rechnet in den kommenden Monaten mit flächendeckenden Zusatzbeiträgen für Versicherte. «Ich gehe davon aus, dass wir zum Ende des Jahres, spätestens im nächsten Jahr bei allen Versicherten solche Zusatzbeiträge haben werden», sagte Verbandschefin Doris Pfeiffer am Montag im Deutschlandfunk. Montagmittag sollte es in Berlin eine gemeinsame Pressekonferenz mehrerer Kassen geben. Erwartet wurde, dass die Versicherer dort die Einführung von Zusatzbeiträgen verkünden.

Pfeiffer sagte, ein solcher Schritt sei keine Folge eines «Managementproblems». Vielmehr seien die Kosten für Ärzte, Krankenhäuser und Arzneimittel immer weiter gestiegen, während die Einnahmen zurückgingen. «Das ist ein Problem, das alle Kassen haben», betonte sie. Nach jüngsten Prognosen fehlen den gesetzlichen Kassen in diesem Jahr rund vier Milliarden Euro.

Die Verbandschefin forderte von der Bundesregierung, den weiteren Ausgabenanstieg im Gesundheitssystem zu stoppen. Es könne nicht sein, dass die Kostenentwicklung hier völlig von der Entwicklung der Gesamtwirtschaft abgekoppelt sei. Pfeiffer appellierte außerdem an die Regierung, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel abzusenken - so wie das gerade auch bei der Hotelbranche geschehen sei. Ein ermäßigter Steuersatz auf Medikamente würde Einsparungen von 2,3 bis 2,4 Milliarden Euro bringen, sagte sie. Auch mehr Wettbewerb - etwa bei Verträgen von Kassen mit Krankenhäusern - könne Einsparpotenzial liefern.

Sozialverband nennt Zusatzbeiträge unsozial

Die Wohlfahrtsverbände kritisierten die sich abzeichnenden Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung als unsozial kritisiert. «Damit verschieben sich die Lasten noch stärker einseitig auf die Arbeitnehmer und Rentner», sagte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, der «Frankfurter Rundschau“. Während Arbeitgeber verschont würden, müssten Menschen mit kleinen Einkommen die Kosten tragen. Vor allem für viele Rentner seien acht Euro ein Betrag, der weh tue, sagte Mascher.

SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann bezeichnete den Zusatzbeitrag als «kleine Kopfpauschale», die unabhängig vom Einkommen erhoben werde. Sie warf Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vor, dem Ausgabenanstieg im Gesundheitswesen tatenlos zuzuschauen. «Vom Gesundheitsminister ist kein einziger konkreter Vorschlag für eine Begrenzung der Ausgaben bekannt», sagte Reimann. Rösler fehle «offenbar der Mut, sich gegen die Pharmaindustrie in Stellung zu bringen».

Experte: Ab Sommer muss wohl jedes zweite Mitglied mehr zahlen

Unmittelbar vor der Bekanntgabe erster Einzelheiten zur Erhebung von Zusatzbeiträgen durch einzelne Krankenkassen prognostizieren auch Gesundheitsexperten, dass die Mehrzahl aller gesetzlich Krankenversicherten von Zusatzkosten betroffen sein wird. Das berichtet die Bild-Zeitung in ihrer Montagausgabe. Demnach schätzt Wolfgang Lange vom Brancheninformationsdienst dfg, dass «schon zum 1. Juli jedes zweite Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse betroffen sein» könnte. Das wären rund 25 von 51 Millionen gesetzlich Krankenversicherten.

Der Kieler Experte Thomas Drabinski vom Institut für Mikrodaten-Analyse geht ebenfalls davon aus, dass bis zum Jahresende «die Hälfte aller Mitglieder» zahlen müssen wird. Auch Gesundheitspolitiker rechnen damit, dass der Zusatzbeitrag annähernd flächendeckend erhoben werden dürfte. Der Gesundheitsökonom und SPD-Experte Prof. Karl Lauterbach sagte Bild: «Wenn wir den Trend hochrechnen, werden zum 1. Januar 2010 für 35 bis 40 Millionen Krankenkassen-Mitglieder Zusatzbeiträge fällig.»

Der Verband der Ersatzkassen (VDEK) verwies im Radiosender MDR INFO auf das drohende Milliardendefizit in den Haushalten der Kassen. «Das können nur sehr wenige durch eigene Rücklagen ausgleichen. Deswegen werden es sicher einige sein, die schon jetzt zu Beginn des Jahres einen Zusatzbeitrag einführen müssen. Aber es werden im Laufe des Jahres noch sehr viele hinzukommen», warnte VDEK-Vorstandsvorsitzender Thomas Ballast. Nach seinen Worten werden einige Kassen ihre Zusatzbeiträge an diesem Montag auf einer Pressekonferenz bekanntgeben. Er gehe davon aus, dass sie «im ersten Schritt» maximal bis acht Euro monatlich verlangen würden.

Ersatzkassen gegen Kopfpauschale

Mit Blick auf die Diskussionen in der Regierungskoalition unterstrich der Verbandschef seine Vorbehalte gegen eine Kopfpauschale. Ballast sagte wörtlich: «Wir finden das nicht gut. Wir haben jetzt ein Beitragssystem, das einen eingebauten Solidarausgleich hat. Uns leuchtet nicht ein, warum man das dann wieder kompliziert neu konstruieren muss.» Er befürchte dadurch nur viel Bürokratie und zusätzlichen Aufwand, sagte Ballast. «Das Geld würden wir lieber für Versorgung ausgeben als für Bürokratie.»

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kündigte ein Alternativkonzept seiner Partei zur Gesundheitspolitik der Bundesregierung an. «Die SPD wird in den kommenden Monaten ein eigenes Reformkonzept mit drei Kernelementen vorlegen», sagte er der «Saarbrücker Zeitung».

SPD will Reformkonzept vorlegen

Zum einen müsse man zur jeweils hälftigen Beitragsfinanzierung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zurückkehren, erklärte Lauterbach. «Die Arbeitgeber müssen an der Finanzierung der künftigen Lasten des Gesundheitssystems mit beteiligt werden. Denn nur so entsteht auch ein Druck zum Sparen und effektiven Wirtschaften».

Zweitens wolle die SPD die Zusatzbeiträge abschaffen, weil Einkommensschwache sonst besonders belastet würden. Und drittens brauche man ein Gesundheitssystem für alle, in das sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte einzahlten. «Sämtliche Kassen können dann wieder ihren Beitragsatz selbst bestimmen. Das würde endlich wieder für mehr Wettbewerb im System sorgen», sagte Lauterbach. (ddp/ap)