Münster. .
Nach dem Ausbruch zweier Häftlinge aus der JVA Münster hat NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter „Schwachstellen“ im Strafvollzug eingeräumt. Die Gefangenen waren am Dienstagmorgen geflüchtet. Fluchtversuche gab es in der JVA zuletzt in den Jahren 2000 und 2001.
Zwei 25 und 34 Jahre alte Häftlinge sind am Dienstagmorgen aus der Justizvollzugsanstalt in Münster ausgebrochen. Gegen 7.10 Uhr wurde der Alarm ausgelöst. Ersten Ermittlungen nach waren die Gefangenen aus einer Toilette in einem Arbeitsbereich, in dem Stühle produziert werden, durch ein Oberlicht auf das Flachdach der Werkhalle geklettert. Ihnen war es gelungen, einen Gitterstab auszubrechen. Anschließend seien sie auf ein angrenzendes Dach gestiegen und an einer Regenrinne hinabgeklettert.
In den vergangenen zehn Jahre habe es zwei weitere Fluchtversuche gegeben: Am 14. Dezember 2000 hatten zwei Gefangenen versucht, mit einer selbstgebauten Leiter über eine Mauer zu verschwinden. Einem gelang die Flucht, der andere blieb im Sicherungsdraht hängen. Ein anderer Gefangener wurde am 29. Juni 2001 beim überklettern der Außenmauer bemerkt; Bedienstete konnten ihn vor der Anstalt überwältigen und festhalten.
Flüchtige saßen wegen Diebstahls in Haft
Wie Maria Look, Leiterin der JVA, erklärte, würden die Häftlinge nicht als gewalttätig eingeschätzt. Nach Angaben der federführenden Staatsanwaltschaft Bielefeld stammten beide aus Osteuropa. Der 34-Jährige sollte in Münster eine knapp fünfjährige Haftstrafe wegen Einbruchdiebstahls in insgesamt 30 Fällen absitzen, die am 22. März 2011 beendet gewesen wäre. Der 25-Jährige, verurteilt wegen zwölffachen Bandendiebstahls, hätte am 23. Januar gerade die Hälfte seiner vierjährigen Freihatsstrafe abgesessen.
Landesjustizminister Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) räumte am Dienstag Mängel im Strafvollzug ein. Der Ausbruch zeige, wie wichtig die Arbeit der „Expertenkommission zur Optimierung der Sicherheitsstrukturen im Justizvollzug“ sei, die nach dem Ausbruch der beiden Schwerverbrecher Heckhoff und Michalski im vergangenen November eingesetzt werden musste. „Wir haben zwar die Ausbruchszahlen deutlich gesenkt, aber es gibt offenbar immer noch Schwachstellen“, sagte die Ministerin. Die sechsköpfige Expertengruppe nahm am Dienstag im Aachener Gefängnis ihre Arbeit auf.
Erster Ausbruch in diesem Jahr
Die beiden Häftlinge in Münster sind die ersten Ausbrecher aus NRW-Haftanstalten in diesem Jahr. Sprecher Ulrich Hermanski betonte „die sehr positive Entwicklung im Strafvollzug“ in den vergangenen Jahren. So habe es im Jahr 2009 „nur einen Ausbruch“ gegeben (aus der JVA Aachen), 2008 war einem Häftling in Krefeld die Flucht aus der Haft gelungen. 2007 wurden drei Ausbrüche gezählt, 2006 keiner, im Jahr 2005 drei; Hermanski dazu: „Die Ministerin legt Wert auf die Feststellung, dass die Ausbrüche im Jahr 2005 vor Ihrer Amtsübernahme geschehen sind“.
Auch den Zustand der Haftanstalt in Münster ist laut Hermanski nicht der schwarz-gelben Landesregierung anzulasten: „Den Bauzustand hat die Landesregierung von der Vorgängerregierung geerbt.“ Die JVA Münster gehört zu den ältesten Haftstanstalten in NRW. Die Gebäude wurden zwischen 1849 und 1853 in Sternbauweise mit einem vierflügligen Haftbereich, einem Verwaltungstrakt und umliegenden Dienstwohnungen errichtet. Bis heute wurde die Anstalt mehrfach umgebaut, heißt es auf der Internetseite der JVA: 1861 sei eine Pflege- und Krankenabteilung angegliedert worden, 1896 kam ein gesondertes Küchengebäude hinzu, 1977 wurde ein neues Küchen- und Wirtschaftsgebäude eröffnet und 1985 kam eine erweiterte Besuchsabteilung hinzu.
„Das kann in jeder Haftanstalt passieren“
Einen weiteren Justiz-Skandal sieht Klaus Jäkel, Vorsitzender vom Bund der Strafvollzugsbediensteten NRW, vorerst nicht: „Das kann leider in jeder Haftanstalt passieren“. Zuerst müsste ermittelt werden, warum die Vorbereitungen des Ausbruchs offenbar unbemerkt geblieben waren, meinte Jäkel auf Anfrage von DerWesten. Die personelle Situation in der JVA Münster „sei nicht besser oder schlechter als in allen JVAs in NRW“.
Die Justizministerin wehrte sich am Dienstag unterdessen gegen Angriffe aus der Opposition: „Wer jetzt glaubt, auf dem Rücken der Bediensteten Parteipolitik betreiben zu müssen und die unerträgliche Diffamierungskampagne gegen die Bediensteten fortsetzt, der gefährdet die Sicherheit in den Anstalten und damit auch die Sicherheit unserer Bevölkerung“, ließ Müller-Piepenkötter erklären.
Die SPD-Fraktion im NRW-Landtag sieht den Ausbruch in Münster als erneuten Beleg für strukturelle Probleme im NRW-Starfvollzug: Die Justizministerin sei nun „mit ihrer Strategie der Ablenkung und des Abschiebens von Verantwortung endgültig gescheitert“, sagte SPD-Fraktionschef Ralf Jäger. Der Ausbruch beunruhige die Bevölkerung und schüre Zweifel an der Sicherheit des Strafvollzugs. „Wir sehen uns durch das Eingeständnis der Justizministerin von ‘Schwachstellen’ in unseren Einschätzungen bestätigt“, sagte Jäger.