Staatsoberhäupter, Minister und die geladene Prominenz mussten den widrigen Bedingungen auf Zeche Zollverein trotzen - an einem Ort, an dem sich früher die Malocher quälten. Die Offenheit für das Abseitige, das Ungewohnte, das Neue: Das Revier erwies sich einmal mehr als das ideale Publikum, auch jenseits der Fußballstadien.

Vielleicht hat der Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen eine Etage zu hoch gezielt, als er beim schneeverstöberten Auftakt zur Kulturhauptstadt auf der Zeche Zollverein das alte Goethe-Wort im Munde führte: „Und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“ Aber damals, bei der Kanonade von Valmy, ging es um ein militärstrategisch tatsächlich eher unbedeutendes Ereignis. Aber mental war es eine Wende, als die französischen Revolutionstruppen erstmals den Preußen standhielten, so dass Goethe sicher war: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus.“

Nun, in Essen ging es wohl eher um eine europäische Episode. Und um das Festhalten an der, höflich gesprochen, eher abseitigen Idee, die Eröffnung der Kulturhauptstadt Anfang Januar unter freiem Himmel zu feiern, und sollte er noch so freigebig Flocken und eisige Temperaturen spendieren. So bekam ein tapferer Bundespräsident die Gelegenheit, seine Sympathie fürs Revier nicht nur mit Worten zu beweisen, sondern in Hut und Mantel. Und Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, verbeugte sich auf beinahe halsbrecherische Weise vor der Region, indem er dem Revier seine Eloge auf Deutsch entbot – auch das geschieht ja nicht alle Tage.

Staatsoberhäupter, Minister und die geladene Prominenz mussten den widrigen Bedingungen trotzen - an einem Ort, an dem sich früher die Malocher quälten: Das hatte vielleicht mehr Ironie als Symbolkraft. Immerhin wärmte Herbert Grönemeyers zärtliche Hymne „Komm zur Ruhr“ von innen. Und wie gewollt ließ der Schneefall allmählich nach, als sich der Festakt zu einem großen Volksfest öffnete. Nun war wieder die rost- und ziegelrote Industrieruine Zollverein der Star – und endlich von Menschen bevölkert. Der Schnee lag als sanft dämpfender Zauber über allem und ließ die vielen farbigen Lichter in der Dunkelheit umso heller leuchten. Am meisten aber leuchtete in allem die Neugierde der vielen Besucher, die über das weite Gelände strömten und sich anziehen ließen von Operngesang, Kunstinstallationen und Filmprojektionen an einem Ort, an dem sie eigentlich nicht hingehören. Die Offenheit für das Abseitige, das Ungewohnte, das Neue: Das Revier erwies sich einmal mehr als das ideale Publikum, auch jenseits der Fußballstadien. Zollverein war ein Wintermärchen. Und ja: Wir sind gerne dabeigewesen.