Berlin. .
Die Diskussion, ob Wikipedia den Brockhaus als Standardnachschlagewerk ablösen kann, wird wohl noch etwas weitergehen. Fest steht: In den nächsten Tagen wird der millionste deutschsprachige Artikel online gehen.
Was am 12. Mai 2001 mit einem Artikel über die «Polymerase-Kettenreaktion» begann, wird in wenigen Tagen eine besondere Schwelle überschreiten: Das Internetlexikon Wikipedia erhält seinen millionsten deutschsprachigen Eintrag. Diesen Erfolg hätte vor achteinhalb Jahren niemand für möglich gehalten. «Das Ziel waren 100 000 Artikel, und unsere optimistische Hoffnung war, dieses Ziel in zehn Jahren zu erreichen», sagte der Autor des ersten Artikels, der Bioinformatiker Magnus Manske, der Nachrichtenagentur ddp.
Im November 2006 feierte Wikipedia 500.000 Artikel
Doch die Freude über die gewachsene Verbreitung und Akzeptanz des Lexikons ist derzeit unter den Wikipedia-Autoren etwas getrübt. Ihnen wird vorgeworfen, zu harte Kriterien bei neuen Artikeln anzulegen und Ergänzungen bestehender Einträge häufig nicht zu akzeptieren. Die ehrenamtlich engagierten Wikipedia-Mitarbeiter wiederum befürchten, dass bei einem zu großen Umfang ihres Lexikons die Qualität und Richtigkeit der Artikel nicht mehr garantiert werden kann.
Solche Probleme und Debatten waren in den Anfangszeiten der Enzyklopädie völlig unbekannt. Es dauerte anderthalb Jahre, bis die ersten 10 000 Artikel erstellt waren und das Wikipedia-Konzept von Nutzern und Medien stärker wahrgenommen wurde. Dann wuchs das Mitmachlexikon rasant: Im Juni 2004 wurde der 100 000. Artikel gezählt, im November 2006 war die halbe Million voll.
Pflege der Artikel wird zum Problem
Auch was die Richtigkeit der Inhalte betraf, musste die Wikipedia den Vergleich mit etablierten Nachschlagewerken wie dem Brockhaus oder der Encyclopaedia Britannica nach wenigen Jahren nicht mehr scheuen.Die zunehmende Masse der Wikipedia-Artikel bereitet aber auch Probleme. Schließlich müssen Artikel nicht nur geschrieben werden, sondern verlangen fortwährende Pflege.
Immer wieder diskutiert die Wikimedia-Gemeinde deshalb die Relevanzkriterien der Online-Enzyklopädie. Auslöser des jüngsten Streits war die Löschung eines Artikels über den Verein «Missbrauchsopfer gegen Internetsperren» (MOGIS).Diese Auseinandersetzung ist jedoch nicht neu. «Die Diskussion darüber, was überhaupt relevant ist, und was die Community bei der Pflege von Artikeln zu leisten in der Lage ist, läuft seit Bestehen der Wikipedia“, sagt Pavel Richter, Geschäftsführer von Wikimedia Deutschland. Der Verein hat sich die Förderung des «freien Wissens» auf die Fahnen geschrieben und unterstützt den Aufbau der Enzyklopädie mit Spendengeldern und inhaltlichen Projekten.
Bildangebot ist verbesserungsfähig
Nach Ansicht Richters haben sich nun aber erstmals die Leser deutlich zu Wort gemeldet und die Debatte um neue Aspekte erweitert. «Die Perspektive der Leser ist in den Diskussionen der Wikipedia bisher vielleicht zu kurz gekommen», sagt Richter.Die Zukunft der Wikipedia sieht der Verein vor allem in der Verbesserung der Qualität und dem Ausbau der bereits bestehenden Artikel. «Da ist sicherlich noch eine ganze Menge zu tun», sagt Richter.
Vor allem im Bildangebot gebe es Verbesserungsbedarf. «Es gibt noch ganz viele Themen, die sind noch gar nicht oder nicht ausreichend gut bebildert.»Aber auch das Artikel-Angebot soll in den kommenden Jahren weiter wachsen, wenn auch wohl nicht so rasant wie in den ersten Jahren. «Neue Phänomene gehören selbstverständlich in die Wikipedia», sagt Richter. Wie viele Artikel das kostenlose Angebot in acht Jahren biete, wisse er zwar nicht. «Aber in fünf Jahren wird die Wikipedia das meistbenutzte Nachschlagewerk weltweit sein und als erster Anlaufpunkt bei der Informationssuche dienen», sagt Richter.
Wikipedia soll werbefrei bleiben
Nichts ändern soll sich an der Werbefreiheit von Wikipedia. Mit dem Verlauf der noch bis zum 8. Januar laufenden Spendenaktion sei er »außerordentlich zufrieden«, sagt Richter. Die Werbefreiheit der Wikipedia sei ein Grundprinzip und werde auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben. »Es wäre weder für die Leser noch für die Autoren vertretbar, wenn die Wikipedia nicht werbefrei wäre.»
Auch Erstautor Manske sieht noch genug relevante Themen für mehrere Millionen Einträge. Bis die deutschsprachige Wikipedia die nächste Million erreicht, wird man sich noch etwas gedulden müssen. Bei der derzeitigen Wachstumsrate von 419 Artikeln pro Tag wäre dies am 10. Juli 2016 der Fall. (ddp)