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Die Schuldenkrise hat die Debatte neu entfacht: Können wir uns 16 Bundesländer noch leisten? Politiker aus nahezu allen Fraktionen und Experten trommeln jetzt für eine Neuordnung der Bundesrepublik. Doch die Chancen sind äußerst gering.
Deutschland ist ein Flickenteppich aus 16 Bundesländern. Und jedes Bundesland ist ein kleiner Staat im Staate. Die Bundesrepublik hat 16 Hauptstädte, in denen 16 Landeschefs und 141 Minister regieren, kontrolliert von mehr als 1500 Abgeordneten in 16 Parlamenten. Hinzu kommen mehrere Millionen Menschen, die im öffentlichen Dienst der Länder arbeiten - fürs Bremer Landesamt für Verfassungsschutz etwa oder das Landesarchiv Berlin. In Zeiten leerer Kassen werden die Mahner jetzt wieder lauter, die die deutsche Kleinstaaterei als aufgeblasen und überteuert geißeln.
Angezettelt hat die Diskussion der SPD-Politiker Garrelt Duin. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion will die Zahl der Bundesländer auf weniger als die Hälfte reduzieren – und dabei kräftig sparen. Unterstützung bekommt er von einer fraktionsübergreifenden Gruppe aus Politikern der CDU, SPD, FPD und den Grünen. Zu den Anhängern der Fusions-Bewegung zählt auch Ulrike Flach, Bundestagsabgeordnete für Essen und Mülheim und stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Sie könne sich sogar ein Deutschland mit nur fünf Bundesländern vorstellen, sagt Flach gegenüber DerWesten.
„Mehr Gerechtigkeit unter den Ländern“
Auch Wirtschaftsexperten trommeln für eine Neuordnung der Bundesrepublik. „Damit könnte man erhebliche Bürokratiekosten einsparen“, sagt Rainer Kambeck, Experte für öffentliche Finanzen beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Die gesamten Einsparpotenziale durch Länderfusionen gingen „bundesweit in die Milliarden“, schätzt der Bund der Steuerzahler. Doch es sei nicht allein der Bürokratieabbau, der dafür spreche, sagt Kambeck. Das bisherige System des Länderfinanzausgleichs, nach dem die Starken die Schwachen schultern müssen, biete wenig Anreize zur Haushaltsdisziplin. „Für starke Länder zahlt sich ihr Erfolg letztendlich wenig aus, wenn sie so viel an die schwachen Länder abgeben müssen.“ Mehr Motivation zum Sparen und mehr Gerechtigkeit unter den Ländern verspricht sich der Finanzexperte deshalb von einer Neuordnung.
Reinhold Schnabel von der Universität Duisburg-Essen dämpft dagegen die neue Fusions-Euphorie. Für kurzfristige Spareffekte sei dieser Schritt nicht geeignet, sagt der Professor für Finanzwissenschaften. „Zunächst kämen auf die Länder enorme Fusionskosten zu. Einspareffekt würden sich dagegen erst nach Jahren bemerkbar machen.“ Schnabel plädiert dagegen für schlankere Strukturen durch verstärkte länderübergreifende Zusammenarbeit, etwa beim Verfassungsschutz oder Rundfunk.
Wer möchte sich schon selbst von der Landkarte tilgen?
Die Debatte über Länderfusionen ist so alt wie die Bundesrepublik Deutschland. Immer wieder fassten einzelne Politiker das heiße Thema angesichts stetig wachsender Haushaltslöcher an. Doch durchsetzen konnten sie sich nie. Sachsen-Anhalts stellvertretender Ministerpräsident Jens Bullerjahn (SPD) wirbt seit Jahren erfolglos für „Mitteldeutschland“, einen Zusammenschluss aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Auch Bürgermeister Ole von Beust (CDU) konnte seine Vision vom „Nordstaat“ aus Hamburg und Schleswig-Holstein nicht verwirklichen. Die betroffenen Länder verteidigten meist vehement ihre Existenz. Schließlich möchte sich niemand selbst von der Landkarte tilgen. Es müsse wohl noch schlimmer kommen, hieß es dann. Ist es jetzt schlimm genug?
Die Fusions-Befürworter jedenfalls sehen ihre Stunde gekommen. Die Neuordnung der Bundesrepublik sei längst überfällig, sind sie sich einig. „Die Zeit wäre schon zur Wiedervereinigung 1990 reif gewesen, damals hat man die Chance verpasst“, sagt FDP-Politikerin Flach. „Heute ist eine solche Reform eine Mammut-Aufgabe. Aber man sollte sie anpacken.“ Im Sommer will die neue Initiative der Bundestagsabgeordneten ein Konzept vorlegen.
Die Bürger müssen zustimmen
Einfach ist es jedoch nicht, die Grenzen in Deutschland neu zu ziehen. Selbst wenn die Landesregierungen hinter einer Länderfusion stehen, müssen noch die Bürger der betroffenen Bundesländer zustimmen. „Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf“, steht in Artikel 29 des Grundgesetzes. Am Votum des Volkes scheiterte auch 1996 das neue Bindestrichland Berlin-Brandenburg. Die beiden Landesparlamente und die Berliner Bürger waren dafür. Die Brandenburger stimmten jedoch mit 62,7 Prozent gegen eine Fusion.
Auch jetzt sind die Besitzstandswahrer alarmiert. Aus dem hoch verschuldeten Bremen kommt bereits die Ansage: Eine Fusion mit Niedersachsen lohne sich nicht. Zwar könnten einige Kosten wegfallen, aber es müsse schließlich immer noch einen Bürgermeister, eine Stadtbürgerschaft und das Rathaus geben. Auch Mecklenburg-Vorpommern fürchtet um seine Eigenständigkeit. Staatskanzleichef Reinhard Meyer sagte der Nachrichtenagentur ddp, die Kooperation mit den norddeutschen Ländern werde zwar ausgebaut. Eine Fusion komme aber „nicht in Betracht“.
„Die Debatte ist überbewertet“
Verhaltene Töne sind auch aus der Düsseldorfer Staatskanzlei zu hören. „Die Debatte ist überbewertet und führt nur zur Verunsicherung unter den Menschen“, sagt Thomas Breuer, Leiter des Pressereferats. „Natürlich muss es möglich sein, dass sich Länder zusammenschließen können, wenn deren Bürger das so wollen. Die praktischen Hürden dafür sind aber sehr hoch.“
Dabei ist die Aufteilung der deutschen Bundesländer einst eher willkürlich entstanden. Sie orientiert sich vielfach an den Grenzen der Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg. „Es ist wichtig, dass eine Reform Bundesländer schafft, die von der Größe, Einwohnerschaft und Wirtschaftskraft in etwa vergleichbar sind“, sagt Flach. Politiker und Wissenschaftler haben verschiedene Schnittmuster für die neue Bundesrepublik vorgelegt. In fast allen Modellen bleibt Nordrhein-Westfalen als bevölkerungsreichstes Land unangetastet.
Neue Schnittmuster für NRW
Doch auch NRW könnte neu erfunden werden. Professor Werner Rutz vom Institut für Deutschlandforschung an der Ruhruniversität Bochum hat in seinen Vorschlägen neben der wirtschaftlichen auch die soziohistorische Komponente berücksichtigt. In seinem Acht-Länder-Szenario würde NRW große Teile Ostwestfalens an Niedersachsen verlieren und dafür das Ahrtal von Rheinland-Pfalz dazu gewinnen, das derzeit von seinem Oberzentrum Bonn abgeschnitten ist. In der Sechs-Länder-Lösung würde das Bundesland sogar umgetauft in „Rheinland-Westfalen“. Dem neuen Länder-Riesen würde das ganze Moseltal samt Koblenz und Trier zugeschlagen.
Gegner der Fusions-Modelle warnen jedoch vor einem Identitätsverlust der Einwohner. „Durch große Strukturen geht Bürgernähe verloren“, sagt Schnabel. „Die Menschen würden sich nicht mehr repräsentiert fühlen.“ Selbst Visionär Rutz bewertet allzu große Länderfusionen mit Blick auf die Indentifikationskraft einer Region als problematisch. Schon heute hätten Detmolder, Kölner oder Siegerländer schließlich ihre Probleme damit, sich als Einheit zu begreifen.