Essen. Ärzte fordern obligatorische Zusatzversicherung – die Kassen sollen nur noch eine Grundversorgung zahlen. Hintergrund ist die Honrorarreform, die die Mediziner auf die Barrikaden bringt. Allerdings gibt es auch gute Argumente dagegen, einfach mehr Geld ins System zu pumpen.
Der Deutsche Ärztetag war immer ein Ventil für den Ärger über die Politik. Doch so viel Wut, auch so viel Ratlosigkeit wie vor dem heute in Mainz beginnenden Medizinertreff war selten. Die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gestaltete Honorarreform hinterlässt seit Beginn des Jahres viele Gewinner, aber auch viele Verlierer. Am Nordrhein mehr, in Baden-Württemberg weniger. Unter Hautärzten mehr, unter Radiologen weniger. Rein sachlich ist es schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Im Vorfeld bestand die Einigkeit vor allem darin, dass insgesamt mehr Geld her muss.
Ratlosigkeit und Wut
Wie das gehen soll, ließen die Funktionäre vorab wissen. Eine Praxisgebühr von fünf Euro für jeden Praxisbesuch schlug etwa die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein vor. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, hat noch Grundsätzlicheres vor: Er plädiert dafür, dass die Gesetzlichen Kassen nur noch eine reine Grundversorgung mit den nötigsten Behandlungen bezahlen. Für alles andere solle sich jeder privat versichern.
Damit belebt Hoppe eine alte Diskussion neu: Wofür soll die Solidargemeinschaft aufkommen und wofür nicht? Für Unfälle in Risikosportarten zum Beispiel sollte sie nicht aufkommen, findet Hoppe. Beliebte Beispiele für diese „Selbst-Schuld-Liste” waren bisher auch Raucher, Alkoholkranke und Übergewichtige.
Eine öffentliche Debatte
Rudolf Henke, Chef des Marburger Bundes, betont, kein Arzt fände es richtig, „wenn Patienten bestimmte Leistungen selbst zahlen”. Solche Überlegungen seien aus der Not geboren. Ihm wie auch dem Ärzte-Chef Hoppe gehe es vor allem um Transparenz: „Versteckt wird doch schon jetzt rationiert. Ob bei Kindern oder Erwachsenen – haben diese Menschen viele oder sehr schwere Leiden, tun sich manche Ärzte schwer, sie zu behandeln, weil es ihr Budget übersteigt.”
Gegen solche Missstände helfe nur eine öffentliche Debatte darüber, welche Leistungen aus der Grundversorgung gestrichen und selbst finanziert werden sollten. „Es ist heute schon üblich, dass man in Sportvereinen spezielle Zusatzversicherungen abschließt”, so der Chef des Marburger Bundes. Nur Freizeitsportler machten sich darüber keine Gedanken. Er schlägt die Gründung eines „Gesundheitsrats” vor, der über Rationierungen der medizinischen Leistungen berät. „Da müssen Juristen rein, aber auch Ethiker, Sozialwissenschaftler, Ärzte und Patientenvertreter.”
In der Politik kommen solche Gedankenspiele nicht so gut an. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat ganz andere Baustellen im Sinn: „In Deutschland werden pro Kopf doppelt so viele Röntgenbilder gemacht wie im EU-Durchschnitt, wir haben zu viele Arztbesuche und jedes vierte Krankenhausbett steht leer. Solange wir in einigen Bereichen eine solch groteske Überversorgung haben, müssen wir nicht über Rationierung sprechen.”
„Die Ärzte wollten das”
Allerdings kann Lauterbach die Wut jener Ärzte verstehen, die durch die Honorarreform benachteiligt sind. „Es gibt eine Fehlverteilung innerhalb der Ärzteschaft”, sagt er. Besonders solche Ärzte, die sich viel Zeit für die Patienten nehmen, seien benachteiligt worden. Tatsächlich zu schlecht bezahlt würden Hausärzte und Kinderärzte. Auch die regionalen Unterschiede seien nicht hinnehmbar. Aber: „Das ist die Reform, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung unbedingt haben wollte. Der Politik kann man höchstens den Vorwurf machen, den Vorschlag der Ärzte nicht verhindert zu haben.”