München. Margot Käßmann ist wieder da. Der Auftakt des Ökumenischen Kirchentags in München gehörte ohne Zweifel der kleinen, kraftvollen Frau, der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland. Kraftvoll und konzentriert trat sie auf - und begeisterte ihre Zuhörer.

Es war ihr erster großer Auftritt, nachdem sie im Februar wegen einer Alkoholfahrt von beiden Ämtern zurückgetreten war. Sie meldete sich mit einer sehr warmherzigen, eindringlichen, aber theologisch tiefgründigen Bibelarbeit zurück und die Menschen haben sie frenetisch gefeiert.

Sie betrat am frühen Morgen zehn Minuten vor der Zeit die Messehalle C“, eine der größten überhaupt. Und sobald die ersten der gut 6000 Zuhörer und Zuhörerinnen sie erspähten, setzte der Beifall an, dann erhoben sich die Menschen von ihren unbequemen Papphockern und als sie, von unzähligen Fotografen und Kameras umringt, in die „Gemeinde“ winkt, jubeln die Menschen ihr zu. Minuten lang hält der Beifall an. Auf diese Frau, die keine makellose Heldin ist, weil sie schon so oft in ihrem Leben erfahren musste, was Scheitern bedeutet, auf diese Frau haben die Menschen ganz offenkundig gewartet.

Zuhörer und Zuhörerinnen hängen ihr an den Lippen

Sie wirkt konzentriert, spricht langsam und mit einem warmen Ton in der Stimme. Den Rücktritt lässt sie sich überhaupt nicht anmerken. Keine Wehleidigkeit, stattdessen entschiedenes Auftreten.

Die Zuhörer und Zuhörerinnen hängen ihr an den Lippen, als sie ihnen die vorgegebene Bibelstelle deutet, Genesis 9,8-17. Darin wird erzählt, dass Gott mit Naoh nach der Sintflut einen Bund schließt und ihm ankündigt, dass keine Sintfult mehr kommen wird, die Zerstörung bringt. Zum Zeichen des Bundes zwischen ihm und der Erde setzt er einen Bogen in die Wolken.

Vom Regenbogen zum Gottesbild

Zuerst erklärt sie die Besonderheiten der Bibelstelle, dass sie, obwohl schon Jahrtausende alt, noch heute Menschen fasziniere. „Und der Regenbogen ist ein Symbol, das die Friedensbewegung auch unserer Tage inspiriert hat.“ Aber sie beschränkt sich jetzt nicht auf das Thema, mit dem sie noch Anfang des Jahres für so viel Wirbel gesorgt hatte: der Krieg in Afghanistan.

Darüber redet sie später auch, nennt die Namen der jüngst gefallenen Soldaten, spricht über die Tausenden toten Zivilisten. Aber die Pfarrerin spannt hier einen viel weiteren „Bogen“. Sie spricht über das Gottesbild der Bibel, über ihr Gottesbild.

Erdbeben wie in Haiti oder China

Spricht von der Erschaffung der Welt, davon, dass nach der Schöpfung alles gut war, dass aber der Mensch mit seinem Egoismus, mit seiner Erkenntnis, dass nicht Gott im Zentrum des Lebens steht, sondern er, das Paradies zerstört habe. Sie spricht über einen Gott, der zornig darüber ist, die Sintflut schickt.

Katastrophen wie den Tsunami, Erdbeben wie in Haiti oder China. Doch dann kommt zum ersten Mal ihre Deutung, die sich in ihrem ganzen Leben widerspiegelt: „Gott straft nicht durch Katastrophen, sondern Gott begleitet den Menschen, die Katastrophen erleiden müssen.“ Sie erzählt von einem verstehenden, begleitenden Gott; einem, der nicht den perfekten Menschen liebe.

Moses, Petrus, Maria Magdalena - alles andere als perfekt

Der sich auch Leuten zuwende wie Moses, der einen Menschen getötet hat, Petrus, der Jesus verraten hat, Maria Magdalena, die einen zweifelhaften Ruf hatte. Die Frage komme auf, sagt sie dann sehr persönlich, ob perfekte Lebenssituationen nicht oft nur Fassade seien, die Brüche überdecke, „das kann der Verlust des Arbeitsplatzes sein, eine verlorene Liebe oder eine rote Ampel.“

Es sind solche persönlichen Bekenntnisse, die Margot Käßmann auszeichnen. Und ihre Sprache. Wenn sie zu ihren Zuhörern redet, nimmt sie nicht den gebenden Ton an, den Pfarrer so gern wählen, wenn sie predigen, sie verzichtet auf alles Gravitätische.

"Das kann kein Verteidigungsminister, das kann keine Kanzlerin"

Sie spricht wie eine Mutter zu erwachsenen Töchtern, wie eine erfahrene Frau zu ihrer Freundin. Margot Käßmann spricht von Gott in der Sprache der Menschen des 21. Jahrhunderts. Das ist ihr Geheimnis. Deshalb berühren ihre Worte auch die Herzen der Menschen.

Und deshalb sind viele in die Messehalle gekommen. „Sie ist der einzige Mensch“, sagt Siegfried Krüger aus Köln, „der die Wahrheit sagen kann, der Hoffnungen geben kann in all den Krisen heute. Das kann kein Verteidigungsminister, das kann keine Kanzlerin“, sagt er noch völlig benommen von der Bibelarbeit.

„Die Menschen brauchen etwas, wo sie Schuld bekennen können“, findet Hannelore Schmidt aus Eckernförde. „Bei ihr sehe ich ein Beispiel dafür, wie man täglich mit Gott leben kann. Da entsteht Frieden. Es ist Trost.“

Am Ende der Bibelarbeit stehen viele Gruppen noch lange beieinander und reden über den Auftritt der einstigen EKD-Ratsvorsitzenden. Nach ihrer Wahl in dieses Amt im vergangenen November galt sie für die Kirche als die Hoffnungsträgerin schlechthin. Heute ist sie das für viele Menschen trotz einer Alkoholfahrt ganz offensichtlich geblieben.