Essen. Betrug, Geldwäsche, Bilanzfälschung oder Korruption: Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC nimmt die Wirtschaftskriminalität in Nordrhein-Westfalen rasant zu. Doch viele Täter werden nicht angezeigt.
Es sind Ergebnisse, die Steffen Salvenmoser alarmieren. Bereits seit geraumer Zeit verfolgt der ehemalige Staatsanwalt die Entwicklung der Wirtschaftskriminalität in Deutschland. Nun hat der Jurist, der mittlerweile für die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PwC) arbeitet, eine aktuelle Studie zu Korruption, Betrug, Geldwäsche und Bilanzfälschung in Nordrhein-Westfalen erstellt. Das beunruhigende Ergebnis lautet: NRW ist überdurchschnittlich stark von Wirtschaftskriminalität betroffen.
„Wir verzeichnen einen dramatischen Anstieg der Wirtschaftskriminalität in NRW“, sagte Salvenmoser im Gespräch mit der WAZ-Gruppe. So seien in Nordrhein-Westfalen 58 Prozent der Unternehmen von Kriminalität betroffen - ein Zuwachs um elf Prozentpunkte im Vergleich zur Vorgängerstudie aus dem Jahr 2007.
Mehr Fälle, höhere Schäden
„Im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt zählen wir in NRW mehr Fälle von Wirtschaftskriminalität, etwas mehr Unternehmen sind betroffen, und es entstehen höhere Schäden“, berichtete Salvenmoser. Bundesweit seien 56 Prozent der Unternehmen Opfer von Kriminalität geworden. Im Jahr 2007 waren es noch 52 Prozent. Und: Die betroffenen Firmen wurden in NRW meist mehrfach geschädigt, im Durchschnitt in elf Fällen. Zum Vergleich: Bundesweit waren es lediglich acht Fälle.
Eine Ursache hierfür könnte die hohe Exportquote hiesiger Unternehmen sein. Das Risiko, zum Beispiel Opfer von Industriespionage und Produktpiraterie zu werden, liegt so deutlich höher.
Ihre Studie hat die Prüfungsgesellschaft PwC gemeinsam mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erstellt. Von April bis Mai 2009 wurden bundesweit Mitarbeiter in 500 Großunternehmen telefonisch befragt. Allein in NRW wurden Daten aus 117 Unternehmen gesammelt. Im Schnitt beschäftigten die Firmen 5750 Mitarbeiter.
Die Schäden, die Betrieben aus NRW durch Wirtschaftskriminalität entstanden, stiegen erheblich. Im Schnitt habe ein Unternehmen 7,38 Millionen Euro verloren – vor zwei Jahren lag dieser Wert noch bei 2,9 Millionen Euro. In Einzelfällen sei Firmen sogar ein Schaden von 50 oder 100 Millionen Euro entstanden.
"Keine Insel der Glückseligen"
„Man muss sich von der Vorstellung verabschieden, dass Deutschland in Sachen Wirtschaftskriminalität eine Insel der Glückseligen ist“, sagte Salvenmoser. „Auch in NRW ist Korruption weit verbreitet.“ Immerhin 16 Prozent der Unternehmen haben sich der Studie zufolge „in einer Situation befunden, in der sie das Gefühl hatten, man erwarte von ihnen ein Bestechungsgeld“. Fast ein Drittel der Unternehmen in NRW berichtete außerdem, vermutlich aufgrund von Korruption eines Konkurrenten eine Geschäftsmöglichkeit verloren zu haben.
Die Schadenssumme, die den 500 für die Studie befragten Großunternehmen durch Kriminalität entstanden ist, betrug insgesamt 1,31 Milliarden Euro. Davon entfielen auf die in NRW befragten 117 Firmen Schäden in Höhe von 312,5 Millionen Euro.
„Kurzfristig erwarten wir einen weiteren Anstieg der Kriminalität in den Betrieben“, erklärte Salvenmoser. „Denn je mehr einer betroffenen Person das Wasser bis zum Hals steht, desto eher ist sie bereit, zu unlauteren Mitteln zu greifen.“
Die Motive der Täter sind vielfältig und reichen von mangelndem Unrechtsbewusstsein über berufliche Enttäuschung bis zur reinen Geldgier. Allerdings spielen nach Einschätzung von Salvenmoser auch die gängigen Bonus-Regelungen in den Vergütungssystemen der Unternehmen eine Rolle. „Die finanziellen Anreizsysteme für die Beschäftigten müssen die Unternehmensziele abbilden. An dieser Stelle gibt es in Deutschland und NRW noch Nachholbedarf“, kritisierte Salvenmoser.
Firmen fürchten Imageschäden
Der PwC-Experte verwies auf weitere Schwachstellen in den Betrieben. So sollten die Unternehmen auch für „Dilemma-Situationen“ klare Regeln formulieren. Ein Beispiel: „Ein Vertriebsmitarbeiter muss Rückendeckung erhalten, wenn er einen Auftrag, der nur durch Schmiergeld zu bekommen wäre, strikt ablehnt.“ Salvenmoser warnte: „Je weniger Kontrollen es in einem Unternehmen gibt, desto größer ist die Gefahr, Opfer von Wirtschaftskriminalität zu werden.“
Vor allem Kriminelle in Nadelstreifen können sich scheinbar vergleichsweise sicher fühlen. So werden Täter aus dem Top-Management erheblich seltener angezeigt (in 33 Prozent der Fälle) als Führungskräfte aus dem mittleren Management (49 Prozent) oder Beschäftigte ohne Führungsaufgaben (54 Prozent). Kurzum: „Der einfache Mitarbeiter wird eher angezeigt als der Vorstand“, so Salvenmoser. „Eine Hauptursache hierfür ist, dass das Management durch ein spektakuläres Strafverfahren Imageschäden für das gesamte Unternehmen befürchtet.“