Berlin. Bei Wahlkämpfen wird mittlerweile getwittert, gefacebookt und genetzwerkt. Warum, wozu und vor allem, wie es damit in Zukunft weitergeht, ist Thema beim Politcamp in Berlin. Nicht nur der Auftritt von Familienministerin Kristina Schröder allerdings zeigt: Es ist noch viel zu tun.
Die Notebooks stehen auf den Tischen, die iPhones sind gezückt und die Mini-Netbooks liegen auf den Knien bereit. Denn beim Politcamp in Berlin wird getwittert, gefacebookt und genetzwerkt. Da sitzt ein langhaarige Blogger im Radialsystem am Berliner Ostbahnhof neben dem Politik-PR-Berater mit Fliege, diskutiert der StudiVZ-Spezialist im Hemd mit dem Piratenparteimann. So unterschiedlich die 900 Besucher auch sind, sie vereint eins: Sie wissen, dass Politik und Internet irgendwie zusammen gehören. Fest steht aber auch: Beide Seiten können und müssen noch viel voneinander lernen.
Waren es im vergangenen Jahr, beim ersten Politcamp in Berlin, noch die Online-Spezialisten unter den Politikern, die sich zu dem neuen Forum trauten, so kommen in diesem Jahr viele Abgeordnete aus allen Parteien. Unter ihnen sogar Familienministerin Kristina Schröder. Ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen war als Initiatorin des umstrittenen Netzsperrengesetzes das Feindbild vieler Teilnehmer beim Politcamp 2009. Ein Jahr später steht ihre Nachfolgerin an der Spitze eines Ministeriums, das zu den Sponsoren des Politcamps gehört.
Noch viel Unkenntnis
„Politik trifft Web 2.0“ ist dann auch das sehr weit gefasste Thema, zu dem sich die Ministerin auf das Podium begibt. Und Kristina Schröder will eine Lanze für die Politiker brechen: „Wir haben jetzt eine Enquete-Kommission gebildet, damit die Denkweisen im Netz in der Politik Beachtung finden“, sagt die junge Ministerin. Es gebe noch viel Unkenntnis, was das Thema angehe.
Auch beim Umgang mit Twitter und sozialen Netzwerken wie Facebook, müsse man noch viel lernen. „Aber man kann nicht immer sofort auf jede Mail und jede Anfrage umfassend antworten. Manchmal muss man sich auch erst informieren“, sagt Schröder. So ein Wahlkampf mit allen Terminen bei Vereinen und Verbänden sei eben auch sehr anstrengend.
Gnadenlose Twitter-Wall
„Typische Offline-Onliner Rhetorik“, ist promt auf der großen Leinwand im Hintergrund zu lesen. Denn dort ist einen Twitter-Wall angezeigt – sie bildet alle Kurznachrichten ab, die mit dem Kürzel #pc10 versehen sind, also ein Statement zum Politcamp beinhalten. Twitterer GIGALinux wird noch deutlicher: „Eine Runde Populismus von Frau Schröder“, schreibt er. Wohlwissend, dass alle im Publikum, nicht aber die auf dem Podium seine Nachricht lesen.
Wie die Politiker denn diese Twitter-Wall hinter sich finden, fragt dann auch ein Zuschauer. Die Podiumsteilnehmer drehen sich um, hatten vorher die Kritik noch gar nicht zur Kenntnis genommen. Twittern und Netzwerke seien „richtig und gut“, sagt Burkhardt Müller-Sönksen, der Vertreter der FDP auf dem Podium. Und Kristina Schröder pflichtet bei: „Ich twitter ja auch sehr gerne“, sagt sie. Dennoch stehe sie als Ministerin jetzt verschärft unter Beobachtung. „Und das Problem ist, dass die Printmedien oftmals Twitter nicht kapieren.“ Oftmals würden ihre „Tweets“ auf diese Weise falsch verstanden und eingeordnet, beklagt Schröder Deshalb halte sie sich mittlerweile etwas zurück.
Eingefahrene Positionen
Gegen die harte These von Blogger Thomas Knüwer „Viele Politiker sind digitale Analphabeten“ verwehrten sich die Teilnehmer auf dem Podium. Schließlich sei das Internet ja die große Chance. Das habe man bereits verstanden. Und man könne sich einige Pressemitteilungen sparen, seitdem sich Journalisten vermehrt auf Blogs und Twitter-Einträge bezögen, erklärt die Linken-Vertreterin Halina Wawzyniak.
Dennoch wird beim Politcamp immer wieder deutlich, wie weit die Meinungen gerade beim Thema Netzpolitik noch auseinander liegen. „Wenn wir eine Volksabstimmung nach einem brutalen Mord zum Thema Todesstrafe machen, dann habe ich Angst vor dem Ergebnis“, lautet die FDP-Meinung zum Plebiszit. Auch zu den Themen Netzsperren, Jugendmedienschutzstaatsvertrag oder Google Streetview werden die bekannten Thesen vertreten. Und noch etwas Altbekanntes ist auch beim Politcamp dabei: Teilnehmer im Publikum, die sich für eine Frage zu Wort melden, dann aber lieber doch ein Statement abgeben. Ob Politjargon auf dem Podium oder Floskeln davor – manchen Debatten hätte ein Moderator gut getan, der sie stärker lenkt.
Obama, das Vorbild
Neu ist dagegen der Rückblick auf das Wahljahr 2009. Ungewohnt selbstkritische Töne sind da zu hören. „Wir haben zu wenig Arbeit in das Thema Netzpolitik investiert“, sagt Robert Heinrich, der 2009 für die Öffentlichkeitsarbeit der Grünen zuständig war. Bodo Ramelow , Linke-Fraktionsvorsitzender in Thüringen, gibt zu, er sei unbedarft an das Medium Twitter herangegangen: „Das war nach dem Motto: Obama hat das auch gemacht. Also habe ich angefangen zu twittern.“ Mittlerweile habe er sich dem Kurznachrichtendienst mehr angenähert.
In Zukunft wolle man jedoch viel mehr das Internet als Feedback-Kanal nutzen. Nicht nur das alte Sendeprinzip, sondern Hinschauen und Zuhören sei angesagt. „Wenn wir uns als Parteien nicht ändern, werden wir ganz schnell abgehängt. Dann erreichen wir nicht mehr die, die wir erreichen wollen“, sagt Ramelow. Spätestens durch die unter anderem im Internet organisierte Anti-Nazi-Demonstration im Februar in Dresden haben man jedoch gemerkt, wie gut das Netzwerken im Netz funktioniert.
Dass man auf dem richtigen Weg sei, betonte die Familienministerin: „Wir sind ja jetzt schon mal da. Und ich finde nicht, dass wir hier auf dem Podium nur heiße Luft gesagt haben“, sagt Kristina Schröder. Das „Doch!“ aus dem Publikum ignoriert sie. „Wir haben heute zugehört“; beteuert die Ministerin, „das ist doch schon mal was.“