Essen. NRW-Minister Armin Laschet ist optimistisch, dass die Integration gelingt – wenn alle es wollen
Hatice Akyün, die Tochter eines „Gastarbeiters" im Bergbau, ist heute Bestsellerautorin. Bergarbeitersohn Armin Laschet wollte von der gebürtigen Duisburgerin wissen, wie sie diesen gesellschaftlichen Aufstieg geschafft hat. Akyün erzählte ihm diese Geschichte: „Wissen Sie, es ist doch erstaunlich: In unserer Zechensiedlung hatten wir alle die gleichen Voraussetzungen. Wir waren alle Arbeiterkinder – ob wir Deutsche oder Türken waren, spielte damals keine Rolle. Wie kommt es, dass es bei mir geklappt hat, unser Nachbarskind aber heute von Hartz IV lebt? Oder dass Mitschülerinnen einfach die Lehre abgebrochen haben, also trotz vorhandener Chancen nichts aus sich gemacht haben?"
Akyün verdankt ihre Karriere letztlich einem Zufall – und ihrem Willen. „Wenn zum Beispiel der städtische Bücherbus nicht immer donnerstags in unserer Straße gehalten hätte, wäre ich da vielleicht nie reingegangen." Weil ihre Eltern aber Analphabeten waren, hat sie ihren Leihausweis eben selbst unterschrieben; um fortan heimlich unter der Bettdecke die Bücher von Hanni und Nanni und den fünf Freunden zu verschlingen.
"Einheit aller, die in Deutschland leben"
Laschet traf Akyün an der Goldenen Leiter in Duisburg, einem Kunstwerk. Ein symbolischer Ort. Denn: Mit Erfolgsleitern sei es, so Akyün, wie mit üblichen Leitern. „Es geht nur aus eigener Kraft hinauf." Und doch erreichten nicht alle das Ziel. „Da ist man vielleicht gerade ein bisschen auf der Leiter vorangekommen und merkt dann plötzlich, dass die nächsten Stufen einfach fehlen."
Die fehlenden Sprossen, darum geht es Laschet. Dass, so sein Bild, die Altdeutschen den Neudeutschen das Gefühl gäben, willkommen zu sein. Oder auch so: 60 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik, der Integration von zwölf Millionen Heimatvertriebenen und Flüchtlingen, 20 Jahre nach Ende der DDR und der Integration von 17 Millionen Ostdeutschen „ist es höchste Zeit, nun endlich die Einheit aller zu vollenden, die in Deutschland leben".
Laschet nennt das in seinem Buch „Die Aufsteiger-Republik", die „dritte deutsche Einheit" vollenden. Den katholischen Integrationsminister treibt nicht nur Nächstenliebe. Nur wenn die große Gruppe der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die in manchen Städten, besonders im Ruhrgebiet, die Hälfte der Bevölkerung ausmacht, in der Mitte der Gesellschaft ankomme, habe das älter werdende Deutschland die Chance, in Zeiten der Globalisierung an seine Wirtschaftswunderzeiten anzuknüpfen. Außerdem gehe es darum, die hohen, viele Milliarden Euro teuren Folgekosten fehlgeschlagener Integration zu verringern.
Lob für Wolfgang Schäuble
Laschet macht Mut. Anders als Altkanzler Helmut Schmidt glaubt, habe Deutschland nicht die schlechtesten Erfahrungen gemacht mit Visionen. Der blaue Himmel über der Ruhr, die Gleichberechtigung der Frau, die Mauer muss weg, warum dann nicht die Vision von Deutschland als Aufsteiger-Republik als nächste reale Utopie anpeilen? Immer wieder erinnert Laschet an den Aufstieg bildungsbeflissener Flüchtlingskinder, Horst Köhler, der Erzbischof Robert Zollitsch, Horst Ehmke, Michael Naumann, Alfred Biolek, Thomas Gottschalk – Menschen, die den Aufstieg Deutschlands mit ermöglicht hätten.
Möglich sei das auch gewesen, weil es jeweils Kümmerer-Minister gegeben habe, solche für Lastenausgleich, innerdeutsche Fragen, oder eben: für Integration. Auch wenn Laschet den Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ausdrücklich lobt etwa für die Islamkonferenz, fordert er doch, nach der Bundestagswahl einen eigenen Integrationsminister zu ernennen, warum nicht einen „Neudeutschen"?
"Radikal umsteuern"
Die Versäumnisse bei der Integration fangen für Laschet früh an, symbolisch am 10. September 1964, als auf dem Bahnhof Köln-Deutz Armando Rodrigues de Sa aus Portugal begrüßt wurde – als der einmillionste „Gastarbeiter". Was wäre wohl aus ihm geworden, fragt Laschet, wenn wir ihm statt einem Zündapp-Mofa als Willkommensgeschenk einen Sprachkurs geschenkt hätten? „Radikal umsteuern" müsse Integrationspolitik. „Weil wir es damals versäumt haben, in Bildung zu investieren, können die Zuwanderer im Schnitt deutlich weniger zum Steueraufkommen beitragen, müssen hingegen deutlich mehr mit Transferleistungen unterstützt werden."
Jetzt Bildung zu fördern, bringe Zinsen: mehr Steuereinnahmen, weniger Sozialleistungen. Laschet erinnert daran, dass, so wie die Flüchtlinge nach dem Krieg, auch die eingewanderten Gastarbeiter den Aufstieg der Deutschen ermöglichten, „die nicht länger gering bezahlte und wenig qualifizierte Tätigkeiten ausüben mussten".
Laschet will eine Kehrtwende in der Einwanderungspolitik. Gelenkte Einwanderung von Qualifizierten nach einem Punktesystem, mehr Großzügigkeit „für die organisierte Zulassung von Flüchtlingsgruppen aus dem Ausland". Und statt einer Rückkehr- eine „Prämie fürs Hierbleiben"– für gut ausgebildete Kinder aus Zuwandererfamilien.
Armin Laschet: Die Aufsteiger-Republik – Zuwanderung als Chance, Verlag Kiepenheuer und Witsch, Euro 19,95