Essen. Wie beim Anti-Islamisierungskongress in Köln ein Kartell der Angst gebildet wird, warum der Döner für den Deutschen okay ist, die Moschee aber nicht, und warum Nordrhein-Westfalen ein Bündnis gegen Rechts braucht - Prof. Dr. Wolfgang Dreßen von der Fachhochschule in Düsseldorf hat Antworten.

Vom 19. bis 21. September findet in Köln der Anti-Islamisierungskongress statt. Warum haben die Rechten so große Angst vor dem Islam?

Dreßen: Der Kongress findet zwar zum ersten Mal statt, aber die Furcht vor dem „Osten“ hat eine lange Tradition. Das ist ja eine ganz alte Geschichte. In der Zeitschrift „Junges Europa“ von 1941 etwa wurde zu einem „Europa der Völker“ aufgerufen. Das hieß im damaligen Sprachgebrauch: Jedes Volk soll gefälligst da bleiben, wo es ist, unter deutscher Führung. Aber es war ganz klar ausgrenzend gedacht. Die Furcht vor dem „Osten“ wurde mit diesem Europa-Gedanken in der NS-Zeit wieder aktiviert. Und da wird heute wieder dran angeknüpft. Nicht so offensichtlich – dann würden die Pro-Köln-Leute nicht so viele Anhänger finden. Aber es wird an die Ängste angeknüpft, die die Menschen haben und die auf diese Weise geschürt werden. Doch es ist nicht nur ein Pro-Köln-Kongress, auch kein Pro-Deutschland-Kongress, sondern eine europaweit organisierte Veranstaltung von Rechts-Außen und rechtsradikalen Gruppierungen. Das ist ein Kartell der Angst, das sich dort bildet.

Wer steckt überhaupt hinter den Veranstaltern Pro Köln und Pro NRW?

Dreßen: Bei den Organisatoren und Hintermännern des Kongresses ist es so, dass sie eindeutig aus dem ganz rechten Bereich kommen, zum Beispiel aus der NPD. Die offiziellen Veranstalter, also Pro Köln, treten von ihrem Habitus her bürgerlich auf. Tarnorganisation würde ich sie nicht nennen, aber unter dem Namen Pro Köln wollen die Rechten einen guten Eindruck machen. Außerdem ist es ja ein europaweiter Kongress: Es kommen Vlaams Belang und auch Leute aus Ungarn und Bulgarien. Zumindest sind sie angekündigt. Vielleicht haben die Rechten den Mund aber auch zu voll genommen.

Nach Angaben von Pro Köln und Pro NRW sollen auch Jean-Marie Le Pen von der französischen Front National und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anreisen. Wie konnten sich die Rechten so ungehindert grenzübergreifend organisieren?

Dreßen: Das ist eine Frage, auf die man immer nur mit Erstaunen antworten kann. Kleiner Exkurs: In Dortmund wurde dem stellvertretenden Sprecher der Linkspartei ein Judenstern an die Tür gemalt und seine Autoscheibe eingeschmissen. In das Wahlkreisbüro wurde geschossen, die Angriffe nahmen also lebensbedrohliche Ausmaße an. Doch die Dortmunder Polizei nahm nur eine Anzeige wegen Sachbeschädigung auf. Es scheint so zu sein – ich verstehe es nicht, sondern kann es nur konstatieren –, dass weniger auf solche Vorfälle geachtet wird, als wenn von islamistischer Seite aus angegriffen worden wäre. Dann wäre in Dortmund Einiges los gewesen – in der Presse und in der Politik. Die Gefahren, die in rechtsradikalen Übergriffen stecken, werden jedoch sehr wenig beachtet. Warum auch immer. Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht registriert worden ist, dass sich die Rechten grenzübergreifend organisiert haben. Aber: Warum wird darauf so sanft reagiert? Ich kann das nur mit einem Fragezeichen stehen lassen.

Sie haben bereits den Vergleich zur Nazi-Zeit gezogen. Entsteht zurzeit ein neuer Nationalismus?

Dreßen: Der Kongress ist schon eine Offensive, die ernst zu nehmen ist. Da entsteht ein europäischer Nationalismus. Bei dieser ganzen Auseinandersetzung mit Rechts darf man nicht vergessen, dass die eben genannten Ängste aus der bürgerlichen Mitte kommen. Ich erinnere nur – als Stichwort – an den Wahlkampf von Roland Koch in Hessen. Außerdem werden die Ängste vor Fremden seit dem 11. September wesentlich stärker geschürt.

Gegen wen richtet sich der Kongress: gegen Islamismus oder gegen den Islam?

Dreßen: Bei der Namensgebung wird zwar Islamismus gesagt, aber es ist ein Anti-Islam-Kongress. Die Teilnehmer behaupten nicht, dass hinter der geplanten Moschee irgendwelche Hassprediger stehen oder gar Al-Kaida – das sagt selbst Pro Köln nicht –, aber offenbar reicht aus, dass in einem das Stadtbild prägenden Ausmaß eine Moschee gebaut wird. Das will man nicht.

Rechtspopulisten wie Roland Koch berufen sich immer wieder auf eine „schweigende Mehrheit“. Gibt es die?

Das Forschungsinteresse

Die Arbeitsstelle Neonazismus wurde 1987 gegründet. Prof. Dr. Wolfgang Dreßen übernahm 1994 die Leitung des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus und Neonazismus.

Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stand anfangs die Beobachtung und Analyse rechtsextremistischer Aktivitäten und Wahlerfolge, die seit Mitte der 80er Jahre europaweit zunahmen. Da die Konzentration auf spektakuläre Gewalttaten und den organisierten Rechtsextremismus nicht ausreicht, um das Problem und seine Ursachen in ihrer gesamtgesellschaftlichen Dimension erfassen zu können, werden im Fachbereich auch die historischen und ideengeschichtlichen Wurzeln erforscht.

Neben seiner Arbeit an der Fachhochschule Düsseldorf, ist Wolfgang Dreßen für den Landesvorstand der Partei Die Linke tätig.

Dreßen: Von meinem Kollegen Dr. Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld kommen stets genaue Zahlen – und die Umfrage-Ergebnisse sind doch erschreckend. Das geht hoch bis in die dreißig, vierzig Prozent, wenn man etwas gelindere Fragen stellt, etwa ob man Muslime als Nachbarn haben möchte. Die Antwort „nein“ ist da sehr verbreitet. Insgesamt gibt es in NRW einen sehr großen Anstieg dieser rechten und rechtsradikalen Gruppierungen. Am vergangenen Samstag bei der Demonstration von Neonazis in Dortmund waren immerhin 1500 Leute. Das ist schon eine neue Qualität.

Wer läuft denn da mit?

Dreßen: Das sind keine Skinheads, die einfach nicht ganz richtig im Kopf sind. Sondern sehr viele Jugendliche, leistungsbereite Menschen, die in ihrer Leistungsorientierung enttäuscht sind oder Angst haben. Das hat also einen sozialen Hintergrund. Man sollte zwar nicht zu viele Vergleiche ziehen, aber das erinnert doch an die Basis der NSDAP vor 1933. Zu denen gehörten ja keinesfalls nur die SA-Schläger, da war ja auch eine hohes Potenzial an sehr jungen, akademisch ausgebildeten Menschen. Die heutige Entwicklung ist schon erschreckend, weil sie trotz aller Programme gegen Rechts nicht abnimmt, sondern radikal zunimmt.

Müssen wir uns jetzt ernsthaft Sorgen machen?

Dreßen: Wenn die sozialen Zuspitzungen und die politische Situation so bleiben, dann ist das besorgniserregend. Denn es ist so, dass selbst Menschen, die leistungsbereit sind, auf Dauer ausgegrenzt werden. Darüber täuscht auch nicht die Abnahme der Arbeitslosenzahlen hinweg, denn dahinter verstecken sich ja sehr viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Und selbst, wenn jemand beschäftigt ist, liest er in der Zeitung, dass wieder Call-Center geschlossen werden, und er fragt sich, wann trifft es mich. In einer demokratisch und sozial unsicheren Gesellschaft ist die Zunahme der Rechten auf Dauer gefährlich.

Warum ist es gerade der Bau einer Moschee, der in Köln für solche Aufregung sorgt?

Dreßen: Der geforderte Neubau einer Moschee ist ein sichtbares Zeichen, dass Muslime den gleichen demokratischen Anspruch haben wie alle anderen. Man hat sie in einigen Stadtteilen geduldet; und wenn man einen Döner isst, dann ist das in Ordnung. Aber dass sie den gleichen Anspruch haben wie Christen, deren Kirchen immer leerer werden – das macht vielen Leuten Angst. Diese Leute sehen ihre Identität offensichtlich nur innerhalb einer Mehrheitsgesellschaft, die vollkommen homogen ist. Das ist eben eine Tradition der deutschen Volksgemeinschaft. In Antwerpen zum Beispiel sind muslimische Viertel neben jüdischen Vierteln. Orthodoxe Juden laufen dort sehr offen in ihren Trachten herum – das ist unvorstellbar in einer deutschen Stadt. Wenn in Köln Juden zum Sabbat ihre Läden schließen und ihre Trachten tragen würden, würde das zu einem Aufstand führen, selbst nach dem Nationalsozialismus.

Dennoch wenden sich viele gegen den rechten Kongress.

Dreßen: Wenn man sich das breite Bündnis gegen den Anti-Islamisierungskongress ansieht, so scheint es doch gelungen zu sein, viele Menschen in Köln zu mobilisieren. Das mag also am 20. September gelingen. Doch die zunehmende Radikalisierung von Jugendlichen nach rechts hört damit ja nicht auf. Die geht weiter, wie man jetzt in Dortmund gesehen hat.

Was wird denn mehr im Gedächtnis bleiben: der Kongress oder die zahlreichen Gegendemos?

Dreßen: Zu den Gegendemos kommen auch viele Leute, die nicht üblicherweise demonstrieren. Das beschränkt sich also nicht nur auf die üblichen Antifa-Gruppierungen und ein Grußwort des Oberbürgermeisters, sondern es geht weiter. Neue Leute werden vor Ort die Erfahrung machen, dass es sich lohnt, gegen Rechts zu demonstrieren. Ausgehend von diesen Demonstrationen gegen den Kongress sollte man versuchen, ein breites Bündnis gegen Rechts in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Was im Endeffekt länger im Gedächtnis bleiben wird, weiß ich nicht. Ich weiß aber auch nicht, wie die Polizei reagiert. Und ich weiß nicht, ob es bei der sehr vollmundigen Ankündigung der Rechten bleibt und ob tatsächlich alle „Prominenten“ kommen. Das kann ich erst später beantworten.

Wie werden Sie persönlich den Tag verbringen?

Dreßen: Es gibt zwar auch Gegendemonstranten, mit denen ich nicht übereinstimme. Aber ich werde, wenn es irgendwie geht, in Köln sein.

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